Old School vs. New School
Mitte der 90er beklagte man das Verschwinden des possierlichen Straßenfußballers aus deutschen Großstädten. Nicht dass Mutti nicht froh darüber gewesen wäre, dass Kevin und Mesut nicht mehr jeden Nachmittag mit Löchern in der Jogginghose nach Hause kommen. Aber die Rosinante des deutschen Sportes, die Nationalmannschaft taumelte tumb durch Welt und Europameisterschaftsturniere. Alle coolen Jugendlichen spielten Basketball oder programmierten mit Turbo Pascal New Economy Software. Die Verkörperung des deutschen Fußballs waren Lothar Mathäus a.k.a “hat seine besten Tage schon hinter” sich und Steffen Freund a.k.a. “fleißiger aber limitierter Arbeiter”.
Damals waren alle Fußballschuhe schwarz, man spielte Sonntags auf Schotter und jugendliche deutsche Talente versteckten sich in den Erstliga-Kadern hinter behaarten Osteuropäern. Es war ein Festtag, wenn ein deutscher Free-TV-Sender Europokalspiele übertrug und man hoffte immer, dass sie weiterkommen, damit man nächste Woche noch eine weitere Partie zu Gesicht bekam. Außerdem wurden Mannschaften wie Kaiserlautern Deutscher Meister.
Heute ist der Europokal eine Veranstaltung, die frühestens ab Februar den Charakter einer Pokalveranstaltung hat. Kaiserslautern ist pleite und behaarte Osteuropäer spielen zum größten Teil in Cottbus – wobei sich die Frage stellt, warum Cottbus überhaupt in der ersten Liga spielt. Das ist eigentlich ein Armutszeugnis für Vereine wie Mönchengladbach, Köln, 1860 München, etc aber – anderes Thema und jetzt egal. Alle coolen Jugendlichen spielen wieder Fußball, die Hosen bleiben aber ganz, weil die alten, schwarzen Turnschuhe von multinationalen Sportartikelkonzernen mittlerweile in Tartan und Kunstrasenplätze verarbeitet wurden. Darauf ist Theo Zwanziger total stolz.
Wenn man schwarze Turnschuhe trägt kann man jetzt mit Fug und Recht behaupten voll Retro zu sein. Der possierliche Straßenfußballer ist vital wie lange nicht mehr, außer wenn es regnet. Er tarnt sich meistens in der Kleidung der Telekom und Michi Ballack, verrät sich aber akkustisch noch allzuleicht durch theatralisches Lamentieren und kann deswegen von mir sofort erkannt und weggegrätscht werden. Wahrscheinlich hält mich der possierliche Straßenfußballer von heute deswegen zu recht für einen antiquierten, behaarten Osteuropäer. Johannes B. Kerner nennt das den Lauf der Dinge oder Generationskonflikt. Retro-Straßenfußballer werden aus brasilianischen Favelas oder von Olympique Marseille gekauft.
Dafür spielen Kevin und bald bestimmt auch Mesut in der deutschen Nationalmannschaft und diese deutlich attraktiver als vor 10 Jahren. So hat jede Zeit ihre Vor- und Nachteile. Ab Freitag dann also wieder die New School Bundesliga mit Kuranyi, Özil, Schweinsteiger in ihren bunten Schuhen. Als kleine Pigmentstörung im “Prämienprodukt” dürfen auch Michael Tarnat und Olli Kahn noch ein bißchen mittun.
Mögen die Proffis uns amüsüren.