Raus aus der Blase!

Ich war am 25.01.23 das erste Mal vor Ort bei der Stadtverordneten-Versammlung Potsdam. Vorher hatte ich die Sitzungen einige Male im Stream (nach-)geschaut. Als Besucher muss man sich in eine Liste eintragen und kann dann auf Stühlen an der Wand des Havelsaals der IHK Potsdam Platz nehmen.

Ich habe kein tiefes aber ein grundlegendes Verständnis für die Aufgabe dieser Versammlung, die vielen Ausschüsse, die da dranhängen, den Kompetenzbereich der Stadtverordneten, der Beigeordneten und des Oberbürgermeisters als Führungskräfte der Verwaltung und war insofern ordentlich vorbereitet, dass ich wusste, wer für welche Partei oder Wählergruppe in dieser Versammlung unterwegs ist. Nachlesen könnte man das im sogenannten Ratsinformationssystem. Also, wenn das irgendwann wieder online ist und nicht aufgrund der anhaltenden IT-Probleme der Stadt nicht erreichbar.

Ich hielt die unfassbar langen Sitzungen bisher auf eine merkwürdige Art für “ritualisiert”. Mit seltsamen Regeln und einem von außen nicht zu durchschauenden Kreislauf aus Anträgen, Statements und Überweisungen in Ausschüsse mit Abkürzungen, die ich nicht verstehe. Und wenn ich das Gefühl bekomme, doof zu sein, weil ich Regeln nicht verstehe, finde ich naturgemäß die Regeln doof. Nach dem Besuch vor Ort korrigiere ich das. Ich finde nicht die Regeln doof, die sind vermutlich ziemlich in Ordnung – Entschuldigung, liebe Kommunalverfassung Brandenburg. Ich kann meine Kritik (in Teilen Fassungslosigkeit) jetzt genauer beschreiben.

Die SPD Potsdam und Mike Schubert

Entweder der SPD tun die mehr als 30 Jahre an der Macht in Potsdam und Brandenburg nicht gut oder die Partei hat ein anderes Riesenproblem. Was soll ich davon halten, wenn sich der Vorsitzende der Sitzung (SPD), der Oberbürgermeister (SPD), der Fraktionsvorsitzende der Landtagsfraktion und ebenfalls Mitglied der SVV (SPD) gegenseitig während einer Sitzung ansticheln? Wenn alles, was “nicht SPD ist” auf eine unangenehme Art weggebissen wird. Wenn SPD Abgeordnete Sätze ins Mikro sprechen wie “Debatte A ist Symbolpolitik und Symbolpolitik hat in der Demokratie nichts verloren, weswegen alle, die in Debatte A nicht meiner Meinung sind, endlich Ruhe geben sollen”? Wenn die SPD nicht in den Griff bekommt, dass “ihr” Bürgermeister Mike Schubert in seinem Bericht auf unangenehme Art und Weise Wahlkampfreden schwingt und so tut, als ob er zwar als Bruce Willis die Welt retten kann, in Potsdam allerdings leider nichts tun kann, weil er ja schon alles tut, anstatt sich auf seine tatsächliche Aufgabe zu konzentrieren? Wenn ich selbst als Besucher merke, dass die Wortmeldungen und die Reihenfolge, in der die vorgetragen werden, geskriptet sind? Wenn ich das Gefühl habe, dass sich innerhalb der Partei eigentlich alle hassen und trotzdem eigentlich alle gleich benehmen? Ich formuliere mal anders: Die Überheblichkeit und Arroganz, die ich da wahrnehme, passt jetzt nicht so ganz zu dem Wirken und den Ergebnissen in den letzten Jahren. Die einzige, für mich erkennbare Strategie scheint “Machterhalt” zu sein. Und. Nun. Ich habe das Gefühl, das ist a) nicht die beste Strategie und b) nicht im Sinne Eurer eigentliche Aufgabe und Verantwortung. Und da die SPD den Bürgermeister, zwei Beigeordnete und die stärkste Fraktion stellt, gibt sie naturgemäß “den Ton” in dem System vor. Und wenn der überall so übel ist, wie ich das erlebt habe, wundert mich nicht, dass das Klima in der Verwaltung schlecht sein soll und der Stadt fähige Mitarbeiter:innen weglaufen.

Das Benehmen

Wow. So eine präsente chauvinistische Grundhaltung habe ich lange nicht mehr live erlebt. Wenn Frauen reden, wird deutlich mehr getuschelt und nur dezent unterdrückt gestört. Nachdem Frauen geredet haben, kommt gerne von Männern “Jetzt wollen wir mal zur Sache zurückkehren”. Wenn Frauen das sogar in Redebeiträgen thematisieren, wird das mit “Das war jetzt eine persönliche Anmerkung und nicht zum Thema” abgetan. Und alte weiße Frauen unterstützen alte weiße Männer mit Bemerkungen wie “von Frau zu Frau”. Schade. Erschütternd. Und armselig. Und peinlich.

Ich hatte vorher gelernt, dass es mir als Besucher nicht zusteht, in irgendeiner Form, das Geschehen mit Applaus oder Missfallen oder überhaupt sichtbar zu “kommentieren”. Und ich habe mich ordentlich an diese Regeln gehalten. Befremdlich finde ich, dass die Stadtverordneten sich selbst diesen Respekt nicht entgegenbringen. Da wird geraschelt, aufgestanden, gequatscht, mehr oder weniger verborgen demonstrativ gestört, durch die Gegend gelaufen, sich selbst dargestellt. Ja. Die Sitzungen sind lang, dann verkürzt sie halt oder macht realistische Tagesordnungen, sodass ihr konzentriert bei der Sache bleiben könnt. In dieser Atmosphäre wirkt das so, als ob das Freitag eine 8. Stunde einer 9. Klasse ist und die Teenager das alles sowieso nicht mehr ernst nehmen. (Schiefes Bild: Vermutlich sind 9. Klassen oft deutlich disziplinierter. Bzw. es liegt ziemlich dolle an der Qualität der Lehrkraft, wie geordnet das abläuft.) Und dadurch entsteht der Eindruck, dass die Wortmeldungen auch nicht ernst gemeint sind. Das ist in meinen Augen gefährlich. So eine Atmosphäre entsteht ja nicht im luftleeren Raum, vermutlich gibt es diverse putzige “Alpha-Männchen” in vermeintlich machtvollen Positionen, die das parteienübergreifend vorleben und eine jüngere Generation übernimmt dieses Verhalten, weil sie denkt, man muss das so machen, um genauso vermeintlich machtvoll zu werden. Ich habe einen interessanten Interventionsvorschlag gehört: In Zukunft zu jeder Sitzung zwei Schulklassen einladen. Ist zwar traurig, aber vielleicht benehmen sich die Erwachsenen dann ein bisschen besser.

Die Haltung

Ich habe großen Respekt vor dem Engagement der Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren. Ganz unabhängig davon, was ich kritikwürdig finde oder wo ich Positionen nicht teile oder Benehmen mich befremdet. Ich finde, die SVV hat eine gute gemeinsame Haltung zum Umgang mit den Quatsch-Anträgen und Beiträgen der AfD gefunden indem sie nicht über die Stöckchen springt, die ihr dort hingehalten werden. Ich respektiere den Versuch, das komplexe Geschäft der Kommunalpolitik im Sinne der Bürger:innen zu bewältigen. Und genauso deutlich habe ich das wahrgenommen, was die scheidende Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport Noosha Aubel, der SVV ins Stammbuch geschrieben hat: “Wir schauen eher darauf, was bringt es unserer Funktion, unserer Position, unserer Fraktion, als darauf, was bringt es den Menschen jenseits unserer Blase.” Und genau diese Haltung, die gar nicht so leicht zu erkennen ist, die man aber doch spürt, ist es, die mich ursprünglich zu dem Eindruck brachte, das eigentliche Prozedere ist ritualisiert. Nein, es ist die Haltung von Menschen in der SVV, die nicht im Sinne von “Wir haben hier eine Verantwortung auf Zeit” agieren, sondern Kommunalpolitik als Sprungbrett, Lebensinhalt, Hobby, Bühne für Selbstdarstellung, “war schon immer so-Stammtisch” begreifen. Die sich in Rollen, die bei weitem nicht so wichtig sind, wie sie selbst denken eher selbst gefallen wollen und dabei der wirklichen Wichtigkeit ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden.

Ich werde mir das bestimmt nicht das letzte Mal angeschaut haben. Ich bin gespannt, ob ich eine besonders auffällige Sitzung erwischt habe. Und ich hoffe, dass sich einige der Sachen, die mir so negativ aufgefallen sind, verbessern.

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Ich habe meine Beobachtungen live getwittert. Hier der Ticker, um einige Rechtschreibfehler bereinigt, in chronologischer Reihenfolge. Auf der Internetseite der Stadt Potsdam kann man sich die Sitzung vom 25.01.2023 in voller Länge als Video anschauen.

[16:29] Eine Runde Kommunalpolitik. So ganz in echt. Schauen wir uns das doch mal live an, so eine SVV Potsdam. Pünktlich angekommen zum Bericht des Oberbürgermeisters.

[16:31] Es geht um die IT-Probleme. Ich fühle mich wie in einem Roland Emmerich Film. „Server sind nicht nur Server. Da liegen Daten drauf“ Angemessen dramatischer Tonfall. Leider ist @Mike_Schubert nicht Bruce Willis. Sonst würde ich das sogar glauben.

[16:33] Gegen. Cyberkriminalität. Kann. Man. Sich. Nicht. Komplett. Abschotten!

[16:37] Vogelgrippe. Wir sind da in der konkreten Pflicht! (Deswegen kurz langsamer sprechen.) Und Mieten sind auch so eine Sache.

[16:39] Die Themensprünge sind hart. Aber ich mag, dass die Wand im Havelsaal der IHK beheizt ist.

[16:50] Die Fragerunde wechselt zwischen bedeutungsschwangerer Quatsch-Rhetorik ohne eine einzige Frage und sehr detaillierten Fragen zur Ziolkowski Straße. Zwischendurch tuscheln Menschen. Immer mal fällt was runter und klappert. Wie ein arte Film, der ein bisschen zu gewollt ist.

[16:54] „Die Arbeitsunfähigkeit ist gegeben“ ist eine schöne Formulierung. Schachtelsätze und Wechsel in einem Beitrag von Brute Force zu Wohnungen und irgendwas was irgendjemand sehr unterstützen müsste, rot-grün Berlin, Verzeihung, bauen, vergangener April … oh. Faden verloren.

[16:59] Jetzt ein Fachvortrag zu IT-Sicherheit. Getarnt als Frage. Der Unmut wächst. „LKA, BSI, HPI. Ich knüpfe auch in 27 Minuten nach einem kurzen Zitat an sowas wie eine Frage an.“

[17:02] Der OB antwortet. Ich erwarte einiges. Rhetorisch würde ich die IT-Sicherheit empfehlen. Da kann man am besten bedeutungsschwer Blödsinn erzählen und keiner merkt es. Und jede Art von sprachlichen Bildern kann hemmungslos verwendet werden. Schön wäre jetzt ein Orchester, was das dramatisch untermalt.

[17:11] Also. Wenn ich das richtig verstehe, gab es eine Brute Force Attacke von Innen, weil Rechner der Stadt Potsdam auf das Internet zugreifen wollten. Und sowas hat schließlich schon den Landkreis Anhalt-Bitterfeld zerstört. Zwischendurch keifen sich Abgeordnete an. Unangenehm.

[17:13] „Was ist mit Ihnen Frau …?“ „Meine Fragen wurden in keinem Fall beantwortet!“ „Hätten Sie mich gestern gefragt, hätte ich Ihnen ein Antwort geben können. Aber. By-Pass-Lösungen. Falls es länger dauert damit wir breiter ausgestellt sind.“

[17:15] Abschiedsrede der Gleichstellungsbeauftragte und Jahresreport plus kurzes Resüme ihrer 13-jährigen Amtszeit. Schauen wir mal, ob das in den angekündigten 10 Minuten klappt.

[17:25] Wenn unhöfliche Abgeordnete (nicht gegendert) während einer Rede, wie relevant auch immer, quatschen, ist das äußerst unangenehm. Wenn das Präsidiumsmitglieder (nicht gegendert) machen, kommt das so ASMR-mäßig auch ein bisschen über die Saalanlage.

[17:28] Ende der Rede der Gleichstellungsbeauftragten: Der Oberbürgermeister steht zackig auf, damit jetzt auch mal klar ist, dass Standing Ovations angesagt sind. Einzelne Abgeordnet:innen schlafen derweil ein oder explodieren innerlich.

[17:51] Die Welt der Anträge schaue ich mir am Bildschirm an. Mal sehen, ob diese wirklich unangenehme Atmosphäre von vor Ort da auch so deutlich ist.

[17:57] Jetzt Staudenhof-Debatte. Die Grünen mit bemerkenswerter Argumentation für Abriss statt Sanierung. Wobei das ja wahrscheinlich eh alles Tarnung ist, um zu verschleiern, dass es einfach auch bei den Potsdamer Grünen einen Haufen Kopfsteinpflaster-Preußen-Fans gibt.

[18:03] Nochmal zur Atmosphäre vor Ort aus Besuchersicht: Schwer auszuhaltende Mischung aus Selbstdarsteller-Tum, Klassenkasper-Gehabe, Chauvinismus und substanzlosen Posen. Permanentes Stören durch viele Abgeordnete. Nun. Vielleicht nur heute. Oder immer?

[18:06] Saskia Hüneke mit einem Exkurs in Diskurs-Theorie. Der latente Chauvinismus wird jetzt sogar in einem Redebeitrag erwähnt. Oh. (Also. Nicht von Saskia Hüneke. Die hat sehr diskursiv erklärt, dass sie Kopfsteinpflaster mag und keine Tiefgaragen. Der Hinweis auf den Chauvinismus kam von einer anderen Person.)

[18:07] Die SPD jetzt auch mit Spitzen-Rhetorik: Der Staudenhof ist Symbol-Politik, Symbol-Politik hat in der Demokratie nichts verloren. Und weil das so ist, darf über den Staudenhof nicht mehr diskutiert werden. Außerdem ist Frau Reimers von Online-Umfragen genervt.

[18:11] Und übrigens: Liebe @SPDPotsdam Die Attitüde, dass man nur über Dinge reden darf, wenn man seit 30 Jahren in der SVV sitzt. Und sonst nämlich keine Ahnung hat, ist, nun. Ach. Egal.

[18:13] Die @CDUPotsdam haut in dieselbe Kerbe. Wieland Nikisch sagt: “Vorwärts immer. Rückwärts nimmer.” (Frei zitiert. Jedenfalls. Alle, die immer wieder diskutieren wollen, sind doof)

[18:15] Zwischendurch wird Daniel Keller (SPD) ermahnt, dass er stört. Pete Heuer (SPD) zunehmend streng: “Sonst geht raus, Jungs”.

[18:20] Sehr schön immer Beiträge, die mit “Eigentlich wollte ich dazu nichts sagen” beginnen. Eine Grüne (Wiebke Bartelt) sagt, sie bedauert es sehr, wird aber zustimmen. Häh? Ah. Fraktionszwang?

[18:25] Jetzt namentliche Abstimmung. Wie aufregend. Erst einmal muss Saskia Hüneke aber nochmal sagen, dass sie sich persönlich angegriffen fühlt, weil jemand gesagt hat, dass sie Bürgerbegehren nicht so schätzt, wie SVV Beschlüsse zum Wiederaufbau der Potsdamer Mitte. Sie weist das zurück.

[18:26] Puh. Zur Entspannung jetzt mal ein im etwas schnoddrigem Tonfall vorgetragener Antrag aus dem Ortsbeirat Eiche. Durchatmen.

[18:27] Das kann die CDU so nicht stehen lassen, sondern schiebt in staatstragendem Tonfall nach, dass es ein Versagen ist. Weil. Prioritäten. Der Vorsitzende kommentiert mit “dass das jetzt nicht so zur Sache war.” Zurück nach Eiche.

[18:36] Zur Beruhigung aller gehen wir ins Antrags-Business. Das Kern-Geschäft der Kommunalpolitik. Leider entsteht Verwirrung, weil Unklarheit herrscht, was jetzt abgestimmt werden soll. Pete Heuer schließt mit “Dann vergessen wir jetzt das Ganze.”

[18:39] Zack. Zack. Tramlinie. Erhöhung des Bugdets des Klimaschutzförderprogramms. Mental Health Care. Uferweg Hinzenberg.

[18:43] Jetzt wird die Zitat “verwirrende Genese” eines Antrags zu einem Baumschutzprogramm erläutert. Es wird ein Antrag auf Erledigung gestellt. Und angenommen. Also. Die Erledigung und nicht der Antrag selbst.

[18:48] Bei all der Kritik an Stil und Umgangsformen des Gremiums, etwas, was ich als sehr positiv empfinde: Anträge und Wortmeldungen der AfD werden kommentarlos hingenommen, abgestimmt. Fertig. Kein Springen über Stöckchen. Finde ich gut.

[19:08] Auch die von sich selbst sehr überzeugten Nachwuchshoffnungen der SPD sollten lernen, wo die Livestream-Kamera steht. Sonst sieht man, wenn sie während einer Rede aufstehen und Handy-Tippend rausgehen. Aber das Hemd steckte richtig in der Hose. Zwinkersmiley.

[19:13] Die FDP fordert Redundanz in IT-Systemen. “Wirksame parallele Systeme zumindest mit Lesezugriff”, falls das Hauptsystem durch – Schubert-Bruce-Willis-Stimme – wirklich wirklich dolle kriminellen Attacken (von innen) ausfällt. Zur Strafe fällt der Livestream aus.

[19:18] Back to the roots. Scharfenberg (Die Linke. Also. Die eine Linke. Nicht die Punkt-Soziale andere Linke) spricht über Bahnübergänge. Und zitiert Artikel von 1991. Ich weiß nicht, ob ich das zauselig, rührig und authentisch finde oder schon irgendwie Angst vor IM Hans-Jürgen habe.

[19:20] Jetzt nochmal der Oberbürgermeister. Eine zentrale Antwort für ihn ist Holz. So global. Auf die Frage, wie wir leben wollen. Ich glaube, diese Rede verbraucht meine restliche Energie für den heutigen Abend.

[19:26] Wir werden überleben … eine lange Haltbarkeit … heute … Holz … aus nachhaltiger Forstwirtschaft … das ist unser Tag … Hochschule Eberswalde … wir werden überleben! We will survive. Mike will survive. Potsdam will survive. Streicher. Pauken. Orchester. Yeah!

[19:28] Der Antrag ist total ok. Aber dass Mike Schubert bei jedem Thema die Katastrophen-Film-Präsidenten-Schießt-alle-Außerirdische-ab-Rhethorik verwendet, ist so lustig wie schwer auszuhalten.

[19:35] Zweite Pause. Mehr schaffe ich heute nicht. Großen Respekt an alle ehrenamtlichen Stadtverordneten, dass sie sich auf diese Art und Weise engagieren. Manche finde ich unerträglich, manche klug, manche peinlich, manche witzig. Vieles ginge besser. Trotzdem. Danke.


Wie wäre es mal mit ein bisschen Politik?

Am 2. November tagt nun also mal wieder das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche. Es wird ein Vorschlag “beraten”, der ein sogenanntes “Haus der Demokratie” ermöglichen soll.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert hofft auf ein Signal des Gremiums. (Artikel in der SZ) Ich persönlich hoffe darauf, dass Mike Schubert seinen Job beginnt ernst zu nehmen. Ich dachte immer, als Oberbürgermeister ist man Politiker, da erwarte ich schon ein bisschen Politik – am besten aktive Politik und nicht simples Hoffen.

Lassen wir mal die gesamte Geschichte dieses Projekts beiseite und dass es nie zu dieser Konstruktion und Konstellation hätte kommen dürfen. (Da könnte irgendwann mal jemand nachrecherchieren) Die Entwicklungen seit letzten Winter sind in diesem Brief des FÜR e.V. sehr gut beschrieben. Was liegt auf dem Tisch?

Es gibt ein Kuratorium mit 15 Mitglieder*innen. Mike Schubert ist als OBM Teil dieses Gremiums, genauso wie Michael Stübgen (CDU) als Innenminister des Landes Brandenburg – die beiden einzigen in aktiver politischer Verantwortung stehenden Akteure. Ansonsten sind da Kirchenvertreter*innen, honorige ehemalige Politiker*innen oder Aufsichtsräte mit dabei. Diese 15 Menschen haben aufgrund einer Laune der Lokalpolitik nun eine unglaubliche Macht und Verantwortung in die Hände bekommen.

Nach allgemeiner Lesart muss dieses Gremium mit Zweidrittelmehrheit (Also 10 Menschen) auf den Bau des Kirchenschiffs verzichten und damit eine von der Lokalpolitik und der Bevölkerung in irgendeiner Form gestaltbare Zukunft des Standortes zu ermöglichen. Das ist zwar strukturell grober Unfug, weil dieses Kirchenschiff allgemein als unfinanzierbar und ziemlich sinnlos gilt und nie gebaut werden wird. Aber so ist es formal nun.

Meine Erwartung, dass das Kuratorium das erkennt und in großer Dankbarkeit, dass der Turm größtenteils mit Fördermitteln aufgebaut wird und wurde, die Verantwortung übernimmt und einfach ohne weiteres Hin und Her und mit dem Gedanken der Versöhnung diese merkwürdige Verstrickung (auch mit dem Rechenzentrum auflöst) und die Satzung ändert, ist höchstwahrscheinlich zu hoch. Ein Großteil der Menschen im Kuratorium haben mit Lokalpolitik halt nichts am Hut, wohnen nicht hier, haben bestimmte Eigeninteressen – am deutlichsten erkennbar an der “Zeitspiel- und Ablenkungs-Taktik”, die nach dem Auffliegen der fragwürdigen Fördermittelpraktiken durch den Vorstand der Stiftung Garnisonkirche betrieben wird.

Ich erwarte deswegen von Mike Schubert, dass er sich nicht nur in Fototerminen für Kompromisse feiern lässt sondern diese politisch umsetzt. Also Politik betreibt. So ganz in echt. Wie so ein Politiker. Ich erwarte von der SPD Potsdam und der SPD Fraktion in der SVV, die letzte Woche noch ganz rührend die volle Unterstützung für “ihren” Oberbürgermeister verkündet haben (und lieber andere vor den Bus werfen), dass sie politische Verantwortung übernehmen.

Und ganz konkret. Ruft halt mal an bei Maren Otto, Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber (oder seinem Nachfolger), Dr. Martin Dutzmann, Renke Brahms, Maike Dencker, Dr. Bernhard Felmberg, Dr. Dr. h. c. Manfred Gentz, Harald Geywitz, Dr. Sven Lange, Prof. Dr. Jan Bernd Nordemann, Matthias Platzeck, Hiltrud Dorothea Werner, Angelika Zädow. Sprecht mit Michael Stübgen. Wieland Eschenburg wird das nämlich tun. Und dessen Agenda ist klar.

Macht Euch und allen anderen Menschen im Kuratorium klar, dass die Zeit, in der die Stadt Potsdam sich aus der Verantwortung zieht, vorbei ist. Macht deutlich, dass es diese Konstellation und diese Macht der Stiftung zwar noch gibt, dass sie aber politisch unerwünscht ist und über kurz oder lang mit allen Mitteln aufgelöst werden wird. Ist mir völlig egal, ob ihr das freundlich macht, Verbündete sucht, die Landespolitik mobilisiert, Machtworte sprecht, Druck macht. Nur, tut irgendwas und nicht so, als ob ihr da leider nichts machen könnt. Das ist nämlich in letzter Konsequenz ein Armutszeugnis. Ein Oberbürgermeister, der keine Politik macht, die stärkste Fraktion in der SVV, die mit sich selbst beschäftigt ist und nichts tut. Und wenn der Fototermin ansteht, sind alle wieder am Start. Mit Lächeln und Häppchen.

Vermutlich klappt das für die November-Sitzung des Kuratoriums nicht. Ich weiß jetzt schon, was da rauskommen wird (Vertagung aller relevanten Entscheidungen). Aber, lieber Mike Schubert, liebe SPD, liebe Rathauskooperation, das sollte wirklich das letzte Mal sein, dass Ihr dieses Thema so laufen lasst.

Macht halt Politik! (Und tut nicht nur so)

Ich schaue mir das aufmerksam und interessiert an. Mit Blick auf den Tagungsort der SVV und die fragliche Baustelle. Und ich drücke die Daumen.