Jermaine Jones, so kriegst Du Deine Emotionen in den Griff

Tatort Potsdam, Yorkstraße auf Höhe der Hausnummer 15, Donnerstag morgen, so 10 vor halb 9: Das Kind schreit mich seit einer halben Stunde an, ich solle gefälligst lieb sein. Aber es sitzt auf dem Fahrrad und es besteht die realistische Chance pünktlich im Kindergarten zu sein. Nachdem wir aus der Hofausfahrt kommen, biegen wir mit 7,5 km/h auf den Fußweg ein und fahren Richtung Dortustraße. Polizeischnuffelmeister A (Typ: Don Johnson für Ossis) und Polizeiwuffelmeister B (Typ: Der Gemütliche) patroullieren auf der Jagd nach dem Killer-Falschparker durch das sonnige Morgengrauen und zeigen Präsenz. Wir fahren aufeinander zu. Das Kind fordert Süßigkeiten. (Also von mir, nicht von der Polizei) Und plötzlich sind wir in einer Situation, die ich in Zukunft als Therapie für Fußball-Profis, die manchmal auf dem Platz dem Gegner körperliche Schmerzen zufügen wollen (und das dann auch tun), vermarkten werde.

Polizist A und B nehmen in Windeseile die machtdemonstrierende, bürgersteigfüllende Aufstellung ein. Ich bremse von 7,5 auf 4 km/h, dann auf 0 und komme vor den beiden Tatort-Kommissaren zum Stehen. Das Kind ist kurz irritiert und plötzlich still. (Im Film würde jetzt dramatische Musik einsetzen) Don Johnson ergreift das Wort. Er fragt mich, was ich falsch gemacht habe. Ich weiß es, erkenne aber sofort den rhetorischen Charakter der Frage, antworte nicht, sondern analysiere blitzschnell die Situation. Erster Hinweis, Jermaine, wenn man nicht ganz sicher ist, was hier läuft erst einmal abwarten und gucken, wie es weitergeht. Oft verläuft die Situation unerwartet. Ich werde auch geschwind auf meinen Fehler hingewiesen. Ich bestätige Don Johnson erst einmal in seiner Sichtweise und bekenne mich schuldig, schließlich habe ich erkannt, dass mein Handlungsspielraum begrenzt ist. Das gelingt Dir sicher auch meistens, Jermaine, deswegen geht es jetzt gleich zu Level 2 der “Ruhe-bewahren-Therapie”. Mein Gegenüber ist jetzt aber irritiert, so leicht hat er sich das wahrscheinlich nicht vorgestellt. Stell Dir das so vor, als ob Du Dich bei Marco Reus entschuldigst, nachdem Du ihn ausversehen (also nicht absichtlicht) gefoult hast. Der wäre sowas von verwirrt. Jedenfalls fragen mich Crocket und Tubbs jetzt, warum ich das gemacht habe. Nicht ohne hinterherzuschieben “Sie müssen nicht antworten, sie haben nicht die Pflicht der Polizei Auskunft zu geben”. Was ist das, Jermaine? Richtig, eine ziemlich billige Provokation. Jetzt ist der Zeitpunkt einmal tief durchzuatmen, kurz nachzudenken und ordnungsgemäß die Wahrheit zu sagen. (Kind, schreit, Eile, Bordsteinkante) Die Unterhaltung hätte an dieser Stelle mit einem Strafzettel oder einer mündlichen Verwarnung beendet sein können. Rhetorisch geschickt nimmt der Tatort-Kommissar aus dem Märkischen aber seine Sonnenbrille ab und meine rhetorische Vorlage (Kind) auf und schlägt noch einmal zurück. “Sie wissen ja, dass das nicht erlaubt ist. Wenn jetzt ein anderes Kind kommt, könnten Sie das ja umfahren”) Die Erfahrung sagt, dass jetzt alle verbale Kommunikation sinnlos ist. Das ist wie ein Schiedsrichter, der sagt “Ich muss Sie jetzt leider vom Platz stellen, sie wissen ja, dass Ihr Verhalten …”. Für unser therapeutisches Vorhaben für testosterongeladene Fußballspieler egal aus welchem Elternhaus ist die Situation aber optimal. Noch einmal tief durchatmen. Kurz die Augen schließen. Die Augen wieder öffnen. “Ja” sagen. Warten. Gedanken an körperliche Schmerzen wegatmen. Niemanden auf den Fuß treten. Keine Kopfstöße verteilen. Einfach vorstellen, dass das nicht geht, weil dann das Fahrrad mit dem Kind umkippt. Die Sheriffs abziehen lassen. Konfrontationstherapie Deluxe.

Nach so einer Extremsituation braucht es natürlich ein gutes tiefenentspannendes Workout. Also, Jermaine. Kind in die Kita. Zurück. Frische Luft. Ins Auto. Schön die Sitzheizung auf 5 drehen. Dann so Musik hören, die Du jetzt nicht vor einem Champions-League-Spiel auflegen würdest. Was schönes.

10 Minuten mit dem Auto zum Arbeitsplatz, Trainingsgelände, etc. cruisen. Je nach persönlichem Suchtprofil, ne Zigarette rauchen, nen schönen Kaffee trinken und – wichtig – beim Bäcker eine schöne Apfeltasche kaufen. Wenn das gelingt, prophezeie ich, dass Du nächstes Mal dem komischen Reus nicht auf den Fuß latschen musst.

Ein Kommentar

One Response to “Jermaine Jones, so kriegst Du Deine Emotionen in den Griff”

  1. Beatmaster*L* aka. Problemfan aus der zweiten Liga

    Ich finde das alles nachvollziehbar und auch praxisnah. Nur wie verhält sich das mit dem Drang nach Gewalt gegen den Schiedsrichter respektive Miami Vice? Im besonderen, wenn das Fehlverhalten der ordnenden Macht quasi bewiesen ist??

    Ich fordere Vendetta für geschenkte Elfmeter.

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