9:58

Ratlos ist man, wenn man Herrn Bolt vor den Augen der Weltöffentlichkeit seinen eigenen Weltrekord um eine 11 Hundertstel verbessern sieht. Man kann sich dem Reiz eines 100-Meter-Finals schwer entziehen. Und – gottseidank – man muss als Zuschauer im Stadion nicht sofort wie das ganze Journalistenvolk die ganze Nummer möglichst sauber einordnen.

Der große Unterschied zwischen einem Sprintfinale im Stadion und vor dem Fernseher: Auch vor dem Bildschirm merkt man die Spannung, die sich kurz vor dem Start über das Stadion legt. Das ist aber vor Ort noch eine ganz andere Nummer. Gerade weil, dramaturgisch perfekt, kurz vorher die deutsche Siebenkämpferin Jennifer Oeser erst auf die Fresse flog und dann doch noch zu Silber hechelte und Nadine Kleinert am entgegengesetztem Ende des Stadions mit der Kugel ebenfalls zu Silber stieß.

Und dann war auf ein Mal Ruhe. Nachdem vorher der ganze Abend mit so einem Dauermurmeln und Anfeuern aus den unterschiedlichsten Ecken doch eher laut war. Und da war dann die Gänsehaut, wenn ein Stadion  plötzlich so still ist, dass man eine Stecknadel fallen hören kann. (Übrigens für die Fans beim Elfmeter der gegnerischen Mannschaft eine ernsthafte Alternative: Ich wette, der Schütze ist irritierter, wenn alle komplett leise sind und nicht pfeifen, grölen oder brüllen um ihn zu verunsichern)

Während nach dem abartig schnellem Lauf (6 Läufer unter 10 Sekunden) sieben von acht Läufern tot auf der Bahn lagen, flitzte Bolt noch weiter um die Kurve. Beim Zieleinlauf ein kurzer Blick auf die Uhr, weiterrennen und dann irgendwo auf der Gegengerade der Jubel.

In diesem Moment möchte man nicht über Doping nachdenken – auch wenn es einem sehr schwer fällt. Weil 9:58 einfach eine ganze Ecke zu schnell ist. Und man sich als Zuschauer einfach nur wünscht, dass der wirklich so schnell und so cool ist. Und weil man es ihm trotzdem nicht abnimmt. Wer weiß, ob man das je erfahren wird, was Bolt wirklich zu dieser Dominanz treibt: Training, Talent oder die Pharmaindustrie? Und so bekommt der schöne Tag bei der Leichtathletik-WM das Gschmäckle, mit dem der Leistungssport sich irgendwann zu Grunde richten wird, weil es einem die ungetrübte Freude raubt. Nicht in dem Moment, aber ich will ja lieber in 10 Jahren sagen: “Ich war dabei, bei dem Weltrekord 2009” und nicht “Ich war dabei, als Usain Bolt Weltrekord lief, der sich als Schwindel raustellte und aus den Geschichtsbüchern getilgt wurde.”

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