Über das Weiterkommen der Schalker in der Champions-League, das sie einzig ihrem Torwächter verdanken und die Leistung des akkustischen Spielbegleiters wurde schon berichtet. Fritz von Thurn und Taxis bemängelte unter anderem auch, wie soviele, das Agieren von Kevin Kuranyi. Nicht nur, dass er dem Trainer das Abklatschen und Respekt verweigerte, nein, auch Kevins Nicht-Teilnahme am nicht vorhandenem Kombinationsspiel der Schalker wurde ihm angelastet. Zu unrecht, wie ich finde, ist mir doch gestern klar geworden, was Kuranyi auf dem Fußballplatz eigentlich darstellt. Nichts weniger als eine neue Position wird nämlich durch ihn definiert. Kuranyi ist nämlich kein Stürmer, ja nicht einmal ein Fußballer im eigentlichen Sinne. Kevin verkörpert die Position des FREILAUFERs.
Der Freilaufer wird eigentlich nur dort eingesetzt, wo Fußball-Ästheten einen Stürmer vermuten. Er nimmt nicht kombinatorisch am Spiel teil, sondern ist einzig dazu da, richtig zu stehen und den Fuß oder den Kopf in einen angeflogenen Ball zu halten, damit dieser ins Tor fällt. Er rennt viel, um gegenerische Abwehrspieler abzuschütteln oder listig zu foppen. Der Freiläufer ist also immer der letzte Ballkontakt bevor der Ballbesitz wechselt. Entweder durch Anstoss von der Mittellinie – weil Tor – durch Abstoß, oder durch Eroberung des Balles durch die Abwehr.
Leidende Fans des Heimatvereins fragen sich gerne, wie der Freilauferes schafft, trotz jahrelanger Teilnahme am Training, jegliches Erlernen von technischen Fähigkeiten zu vermeiden. Das ist nicht immer nachvollziehbar, aber kommt durchaus vor. Man kann das mit der sympathischen Rockband “Tocotronic” vergleichen. Trotz vieler Konzerte, Plattenaufnahmen und allem Schnickschnack, ist des Herrn von Lowtzows Stimme bei Konzerten immer nach 3 Liedern weg und die Gitarren klingen live als hätte man tote Schweinehälften an die Box genagelt. So oder ähnlich könnte man auch Kuranyis Fähigkeiten zur Ballannahme beschreiben.
Man darf aber den Stab nicht über dem Freilaufer brechen. Genau wie sich aus Tocotronics schrammeligem Instrumentarium die eine oder andere wichtige Zeile zur Lage der Nation schält, schießt Kuranyi das ein oder andere wichtige Tor. Sie sind somit wichtig fürs Gesamtgefüge. Zugegeben, wenn nach Tocotronic auf dem Melt-Festival eine echte Rockband wie “Black Rebel Motorcycle Club” spielt, sehen die Hamburger alt aus. So geht es Kuranyi im Vergleich mit echten Fußballern. Aber man kann auch mit Dilletantismus die Seele berühren und als simpler Freilaufer mehr Tore schießen als eine ganze Armada portugiesischer Dribbelstürmer. Da laut unbestätigten Gerüchte zufolge im Fußball das Ergebnis mehr als alles andere zählt, ist ein Freilaufer oft eine gute Wahl bei der Mannschaftsaufstellung.
In Deutschland hat der Freilaufer eine große Tradition. Typische Vertreter sind eben erwähnter Kuranyi oder Mike Hanke. Beide immerhin im erweiterten Kreis der Nationalmannschaft. Durch den Einfall behaarter osteuropäischer Dribbelkünstler in die Bundesliga hat der Freiläufer es zunehmend schwer. Wie Salz auf der Wunde klingen dann Aussagen wie die des Cottbuser Trainers, dass er sich die Bundesliga technisch stärker vorgestellt hätte.
Man darf allerdings nicht vergessen, dass auch der Freilaufer Kevin Kuranyi gestern nicht das Weiterkommen der Schalker verhindert hat und mit seinem 1:0 im Hinspiel, dem vom Fachpublikum viel mehr verehrten Torwächter Neuer überhaupt erst ermöglichte, zum Helden zu werden. Man darf halt nur nicht den Fehler machen, ihn mit einem Fußballer zu vergleichen.
Foto: wikipedia.
11 Kommentare
11 Responses to “Der Freilaufer”
Meine Geduld mit Kevin ist auch zu Ende und er erhält diesen Spieltag eine Denkpause auf der Bank!
Ist ja gut analysiert, aber mit dem Begriff “Freilaufer” bin ich nicht einverstanden. Er klingt auf- und nicht abwertend. Außerdem: Gibt’s eigentlich Spieler, die sich nicht freilaufen? Und wären die nicht viel schlimmer?
Wenn ich die absichtlichen Spitzen und kleinen Diffamierungen mal überlese, kann es doch für jeden Verein nur zwingend sein, einen Freilaufer in seinen Reihen zu haben. Es wäre nahezu fahrlässig, darauf zu verzichten.
Ein Paradebeispiel des Freilaufers habe ich vor 2 Wochen im Stadion gesehen, als Ribery den freigelaufenen Klose derart scharf anspielte, dass dieser nicht anders konnte, als den Ball von seiner freigelaufenen Brust ins Tor springen zu lassen. Da hätte auch ein Verkehrsschild stehen können. Das wäre aber im Gegensatz zum Freilaufer wohl nicht regelkonform gewesen.
Und ist der Freilaufer nicht die moderne Form des früheren Freistehers, wie zum Beispiel Gerd Müller ihn sehr erfolgreich interpretierte?
Sicher hat der Freilaufer eine gewisse Tradition in Deutschland. Der Nachteil ist nur, wenn er in einem Spiel kein Tor schießt, sieht er immer verdammt blöd aus. Ein Freilaufer mit einer Quote über 0,5 Tore pro Spiel kann zwar auch keinen Ball stoppen, aber wird nie in Frage gestellt werden.
Ich will auch Kuranyi und Konsorten nicht diffamieren. Ich verspreche, ich werde Kevin zu Füßen liegen, wenn er im EM Halbfinale das Siegtor erzielt.
Die Entwicklung des Fußballsportes in anderen Ländern und bei anderen Vereinen zeigt allerdings, dass man auch einen Stürmer aufstellen könnte, der sowohl immer mal richtig steht, als auch den Ball zu stoppen vermag. Auch wenn Gerd Müller dies nämlich behauptet, er würde wahrscheinlich heute nicht mehr so brillieren.
Auch wenn Miro Klose letzten Samstag angeschossen wurde und in den letzten Wochen etwas schlafmützig wirkte. Im Gegensatz zu Kuranyi beruht sein Spiel nicht auf diesem “angeschossen werden”.
Über den Begriff “Freilaufer” kann man streiten. Klingt natürlich nicht so schön wie “Libero” oder “Hängende Spitze”. Wo kommen diese Worte eigentlich her?
Einigen wir uns doch auf Stolperhannes …
Und in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen der Hitzfeldsche –> Wandspieler, der gerne als menschgewordene Brechstange daherkommt und häufig auf den Namen Jan Koller, Carsten Jancker oder Didier Drogba hört. Er vereint die technischen Fertigkeiten eines Freilaufers, die läuferischen Qualitäten eines Gerd Müller und den Torriecher von Andrzej Juskowiak und sieht seine Aufgabe hauptsächlich darin, unter inniger Einbeziehung möglichst vieler gegerischer Abwehrspieler den Ball irgendwie zum Passgeber zurückprallen zu lassen.
Also, Didier Drogba in eine Reihe mit Carsten Jancker zu stellen, ist schon sehr gewagt. Im Gegensatz zu Jancker zeichnet Drogba durch eine unheimliche Agilität und vor allem Kopfballstärke aus. Vom Sympathiefaktor wollen wir hier garnicht erst anfangen 😉 Was macht eigentlich Jancker mittlerweile? Zeigt er irgendwo wehrlosen Nachwuchsfuballern, wie man seinen Hintern so in den Abwehrspieler dreht, daß der vor Schreck umfällt und man sich auf ihn fallen lassen kann, um dann einen Elfer zu fordern?
Sorry, Du hast Tocotronic nicht kapiert. Es gibt halt mehr Musikstile als “richtige Rockbands”. “Black Rebel Motorcycle Club” sehen zum Beispiel neben Metallica-obwohl deutlich jünger- ganz schön alt aus. Genauso gibts anscheinend mehr Spielertypen als Stürmer. Schön, dass Du einen Begriff dafür formulierst. Das ist ja die ewige Not der Menschen, dass alle Dinge irgendwie benannt werden müssen. Weil der Mensch halt Angst hat, vor den Dingen, die keine explizite Bezeichnung haben, und ohne explizite Bezeichnung können die Menschen die Dinge nicht kapieren.
Der Kevin wär in unserem “frühpubertären Fußballvokabular” wohl einfach ein Abstauber gewesen. Die sind ja auch bekannt. Technik hin, Technik her, Tore schiessen ist auch eine Kunst und vor allem kann man das -meiner Meinung nach- nicht ganz so leicht lernen wie diesen ganzen anderen Firlefanz, Technik eben. Allerdings stellt sich schon die Frage der Erfolgsquote. Allerdings müssen wir uns mal ganz ehrlich eingestehen, dass ein guter Techniker nur halb so auffällt, wenn seine Technik mal schwächer wird, wie ein guter Toreschiesser, wenn er keine Tore schiesst.
Das mit dem Benennen ist so eine Not, die sich leider oft ergibt, wenn man Dinge irgendwo hinschreibt.
Das mit dem Kapieren kapiere ich nicht. Gibt es eine Anleitung wie man Bands kapiert?
Den klassischen Abstauber kann sich keine Mannschaft mehr leisten. Es wird auch von einem Stürmer erwartet, mehr zu tun, als rumzulungern und auf ein Chance zu warten. Kuranyi ackert, läuft, kämpft. Er ist meiner Meinung nach KEIN Abstauber. Deswegen mein Versuch, dieses Phänomen zu beschreiben. Sorry.
Für den Titel des “Abstaubers” läuft klein Kevin einfach zu viel. Er ist eigentlich eher die personifizierte Ineffizienz.
Neues vom Freilaufer: “Jetzt doch mal die Chance für Schalke. Kuranyi legt für Sanchez ab, der dann wieder zum Nationalstürmer zurückflankt. Kuranyi prallt erst das Leder zu weit von der Brust, dann geht der Ex-Stuttgarter mit der Hand zum Ball.”