Fufanu “Sports” oder das herausgezögerte Ende einer Ära

Wer sich das Folgende musikalisch vorstellen möchte, kann dieses Album bitte nebenbei laufen lassen. (Youtube, Spotify)

Am 27. Februar 2017 habe ich ein paar Alben gekauft, hauptsächlich isländische Musik. Bei Amazon, Morr Music und Bandcamp. Nach meinen Erinnerungen waren das die letzten CDs, die ich jemals erworben habe. Kurze Zeit später flog der CD-Player aus der Wohnung, Spotify zog ein und physikalische Tonträger gab es höchstens noch als Vinyl.

Die meisten CDs landeten in einem Regal in meinem Büro/Tonstudio/Quatschraum, wo es noch eine Abspielmöglichkeit gibt. Und einige wenige im Auto. Das ist nämlich von 2008, hat einen 6-fach-Wechsler und ein Umbau auf sowas wie einen USB-Anschluss würde mehr kosten als das Auto jetzt noch Wert ist (Danke, VW!). Vier der sechs CDs sind seit 2017 unverändert in Fach 2, 3, 5 und 6. Und begleiten mich seit dieser Zeit.

Meine kleine Tochter wurde Ende 2015 geboren und fährt ganz gerne Auto. Und hört gerne Musik. Außerdem hat sie sehr früh die Eigenart entwickelt, nur noch bei fahrendem Auto Mittagsschlaf zu machen. Egal wie notwendig dieser ist oder wie komfortabel das Bett: Keine Chance, wenn es nicht brummt und sich bewegt. Ich bin diverse Ehrenrunden auf dem Weg zu Omas und Opas durch die Brandenburger Landschaft gefahren. Bin im Ostseeurlaub extra aufgebrochen eine sinnlose Runde bis zur Insel Fehmarn und wieder zurück. In Kroatien einmal die Küste langgezuckelt. Alles, damit das Kind mal schlafen kann. (Ökologisch zweifelhaft, aber ein komplett übermüdetes unausgeschlafenes Kind ist auch nicht gut für die Klimabilanz)

Seitdem sie sprechen kann, heißt die Platte in Fach 2 (“Sports” von Fufanu) “Automusik” (gelegentlich auch “Lieblingsmusik”). Und ist immer der Start zu einer Fahrt. Klassische Konditionierung würden die Psychologen sagen. Oder frühkindliche Erziehung zu gutem Musikgeschmack. Auf jeden Fall der Test, ob das Kind müde ist und schlafen sollte. Das Geplapper lässt meist innerhalb der ersten zwei Songs nach und das Kind schaltet in einen Chill-Out-Modus. Mit meiner großen Tochter wette ich gelegentlich bei welchem Track das kleine Kind einschläft. “Tokyo” (#3) heißt sehr müde. “Just Me” (#5) ist so mittel. Manchmal dauert es auch bis “Syncing in” (#8). Ist die ganze Platte mit 43:25 durch und die Augen sind immer noch geöffnet und gucken aus dem Fenster, muss man keine Extra-Runden mehr fahren. Dann wird heute nicht geschlafen, aber geruht ist ja trotzdem nicht schlecht. (Es folgt dann in Fach 3 “Sundur” von Pascal Pinon, das ist ruhig, man kann es schön durchhören und dabei entspannt ankommen bzw. von den Nebenstraßen Richtung Ziel abbiegen.)

Ich vermute deswegen, dass ich (und die kleine Tocher, die allerdings schlafend) der Mensch bin, der diese hervorragende aber kommerziell nicht besonders erfolgreiche Platte am häufigsten auf der ganzen Welt am Stück gehört hat. Sicher, die “Nevermind” von Nirvana oder einige andere – wie sagen intellektuell klingen wollende Musikzeitschriftsredakeure gerne – Scheiben in meiner Jugend schaffen eine höhere Zahl. Aber wir hatten ja damals nix. Schon gar keinen unendlichen Zugriff auf alle Musik dieser Welt und auch keinen nervösen Finger auf der “Next”-Taste.

Die Ära der “Alben”, die man am Stück hört, scheint zu Ende zu gehen. Single-Release hier, 6-Track EP da, Extended Version mit 27 Remixes dort. Was früher Mixtapes waren, sind heute Playlisten. Auch schön. Dadurch dass sie aber viel schneller erstellt und beliebig verteilt werden können auch ein natürlicher Feind des Albums. Und außerdem würde die Band selbst für die absurd vielen Male, die ich das Album gehört habe, nach der Spotify Arithmetik weniger bekommen, als ich damals für die CD bezahlt habe. Deutlich weniger. (Aber dass Spotify für Künstler eine Drecksfirma ist, steht auf einem ganz anderen Blatt)

Nunja. Ich will jetzt auch nicht den snobistischen Musik-Connaisseur raushängen lassen. Ich glaube, ich habe erst kürzlich das allererste Mal ein ganzes Album auf Spotify am Stück gehört. (Ungewöhnlich und außerdem auch noch eine Late-Night-Tales Platte, also eigentlich auch eine “Playlist”) Es ist aber schon schön, diese Kultur der Alben durch die Sondersituation “Auto, Kind, Mittagsschlaf” noch im Leben zu haben. Es ist, als ob ich damit diese Zeit, die vorbei ist, noch etwas wachhalten und den Kindern weitergeben kann. Auch wenn das mit dem Weitergeben genauso eine Illusion ist, wie der Glaube, wenn die Kinder möglichst viel – in meinen Augen – gute Musik hören, bleiben ihnen schlimmste Geschmacksverirrungen im Teenageralter erspart.

Egal. Danke, Fufanu. Für diese Platte. Für viele Mittagsschlafe (Wie ist die Mehrzahl von Schlaf eigentlich?) und ein beim Autofahren meist tiefenentspanntes Kind. (Das ist auch insofern ungewöhnlich, weil Fufanu live wirklich ein schön brachial lautes Schrammelspektakel ist)

Der Vollständigkeit halber: In Fach 5 ist “Nolo“, eine isländische Syntie-Pop-Band, die es nicht mehr gibt mit dem Album Human, in die ich verliebt bin, seitdem ich sie beim Iceland Airwaves live gesehen habe. Und in Fach 6 der Gus Gus Klassiker “Mexico“.

Fach 4 beherbergt immer eine selbst gebrannte CD mit aktuellen Mixen eigener Musik, die ich Probehören möchte. In Fach 1 war eine Zeitlang Kaleo mit A/B (isländische Rockmusik), mittlerweile ist es immer eine CD der ungekürzten Lesung der Känguru-Offenbarung. Das mag das kleine Kind auch und möchte deswegen gelegentlich “Schredder” genannt werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

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