Gestern vor der Haustür oder das Ende unseres Weihnachtsbaums

Soeben flatterte mir ein Zeitdokument entgegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das lange online ist (*), ich werde mir das mal für persönliche Zwecke abspeichern. Bitte Ton anschalten und beim weiteren Lesen anhören. (Der Ton ist deutlich wichtiger als das Bild)

Im Bild: Die Sicht aus einem der Busse, der gestern Berliner Bärgida-Aktivisten nach Potsdam zum angemeldeten “Abendspaziergang” bringen sollte. Wir hören: Die Protagonisten des Widerstands gegen die Islamisierung des Abendlands. Aber der Reihe nach.

Ich bin ja schon etwas älter und gemeinhin unverdächtig allzu radikale Positionen zu vertreten. Ich stimme in der allgemeinen Debatte um Kölner Hauptbahnhof, Pegida, Flüchtlinge, etc. Positionen wie der von Sascha Lobo (“Es ist nicht so einfach, wie man es gerne hätte“) zu. Ich halte die meisten Pegida-Demonstranten, BRD-Gmbh-Aluhut-Träger, wertkonservative besorgte Bürger, Krawall-Touristen auf Demos, Frauen-Belästiger, Taschendiebe, usw. hauptsächlich für Arschlöcher, die in der Regel deutlich zu wenig Demut vor dem Leben haben, dass sie hier leben dürfen. Ich finde es schade, dass mittlerweile jeder nur noch Informationen sucht, die seine Position untermauern. Ich wundere mich, dass ich heutzutage in dieser Frage großen Respekt vor Angela Merkel habe und hoffe, dass sie ihre Position (“Wir schaffen das“) gegen die Stammtischbazis durchbekommt.

Genug der Vorrede? Kommen wir zu meiner Haustür und dem Weihnachtsbaum.

Gegen Montag mittag die Informationen “Pegida-Demo heute Abend in Potsdam“, “Gegendemos hier und dort“, “Kommt doch alle“. Gegen 19 Uhr lief die erste Gegendemo vor dem Fenster (gegenüber der Wilhelmgalerie) vorbei. Kind 1 fragt. “Was ist das? Warum sind die so laut“. Wir antworten: “Die demonstrieren gegen dumme Leute, kann man ja mal machen.” Kind 1 geht ins Bett, “Bibi und Tina” ist lauter als Pegida und Antifa zusammen. Parallel schaue ich mal bei Twitter und in den MAZ Live-Ticker. Man schaut heut ja in einen Bildschirm und geht nicht raus. Eigentlich peinlich, aber wir haben die Ausrede, dass Kind 2 mit vier Wochen noch nicht zum differenzierten Bilden einer eigenen Meinung verpflichtet ist und außerdem gerade unglücklich war. Gegen 10 schlafen Kind 1 und 2, plötzlich bimmeln die Glocken der Peter und Paul Kirche auf dem Bassinplatz wie blöd. Aha, das machen die ja immer, wenn fragwürdige Redner auf dem Platz reden wollen. Was von Barrikaden im Internet gelesen. Selbst zum besorgtem Bürger geworden. Mein Auto parkte da neben einer Baustelle. Wenn das einer … beim Bauen einer Barrikade … Irgendein Kratzer … Irgendeine Lampe kaputt … Dann wäre ich aber spazieren gegangen !!! (Schweigersche Ausrufezeichen!!!) Nachschauen, alle schon weg Richtung Krankenhaus. Kurz hinterhergegangen. Selber ein Bild machen. Der Lügenpresse kann man ja nicht trauen. Und ob Russia Today berichten würde? Viele Polizisten, viele Gegendemonstranten, sahen im Nachtnebel alle gleich aus. Laute “Nazis raus” Sprechchöre. Hektisch brüllende Polizisten, hektisch brüllende engagierte junge Menschen. Viel Gerenne. Wohin erschloss sich mir nicht. Sah ein bisschen aus wie Kindergeburtstag oder Fange spielen. Nach Hause gegangen.

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Heute dann die üblichen Spiele. Die Reaktionen: “Randale wie in Potsdam stärkt die Pegida-Szene“, “CDU: Vorfälle sind nicht hinzunehmen“.

Wenn man die Stimmen in dem Bus hört, hat das gestern die Pegida Bewegung nicht gestärkt (“Potsdam ist verloren“). Der Reflex der CDU dauernd irgendetwas nicht hinzunehmen geht mir auf die Ketten. Genauso wie der Reflex “gegen Rechts- UND Linksradikale”. (Sehr schön übrigens die Bildbeschreibung in dem verlinkten Artikel “CDU-Fraktionschef Matthias Finken ist gegen linke und rechte Gewalt.“) Teile Eurer Partei sind mit Eurem wissentlich falschen Gebrülle (Die Rechtschreibkontrolle macht aus Geprolle übrigens Gebrülle, passt beides) wie “Obergrenze!”, “Gastrecht missbrauchen” übrigens mit dafür verantwortlich, dass diese “Besorgnis” immer weiter steigt. Nur so als Tipp: Den Leuten hier geht es grundsätzlich ziemlich gut, wenn man ihnen aber dauernd erzählt, wie wenig wir das alles schaffen, fängt man wirklich an, Angst zu haben. Aber ich schweife ab. Und wenn ich jetzt anfange mich über Horst Seehofer aufzuregen, nimmt das kein gutes Ende.

Meinetwegen kann man das alles aufarbeiten, “die Rädelsführer” suchen, nachdenken, wie man das in Zukunft anders machen kann. Sich über linke Chaoten beschweren (Ja, das sind wirklich teilweise Chaoten, die sind aber meistens 17 und in der Pubertät und kommen nicht wie die anreisenden Pegida-Spinner aus Berlin (!) mit dem Charter-Bus (!) zu einer Demo in eine für sie offensichtliche komplett fremde Stadt und äußern menschenverachtendes Zeug. “Nazis raus!” ist doch etwas anderes diese Mischung aus Angst, Dummheit, Freude über Gewalt in dem Bus)

Ich persönlich habe im Moment gar keine Angst vor den “Linken”. Ich brauche persönlich, wie gesagt, keine fliegende Steine (“Mein Auto …”), bin aber in der Lage zu abstrahieren, dass linke Chaoten hauptsächlich gegen rechte Chaoten stänkern wohingegen rechte Chaoten hauptsächlich gegen Unschuldige hetzen. Das macht mir deutlich mehr Sorgen. Aus der linken Szene nehme ich persönlich außerdem im Moment eine große zivilgesellschaftliche Unterstützung bei der Bewältigung der logistischen Herausforderungen wahr, das fehlt mir von der Gegenseite doch deutlich.

Insofern konnte ich eine heimliche Freude darüber, dass unser Weihnachtsbaum, der auf der Straße lag und eigentlich schon letzte Woche abgeholt werden sollte, heute weg war, nicht verhehlen. Er gehörte vielleicht zu den Dingen, die dem Bus entgegen geworfen wurde (Besser ‘nen Baum als ‘nen Stein) und dazu führte, dass die Bärgida-Besucher ihr Video mit den Worten “Fahr, fahr, fahr raus aus Potsdam” enden lassen.

Und das ist doch ein schönes Ende eines Weihnachtsbaums. Hat uns nicht nur schöne Feiertage beschert und Geschenke illuminiert sondern auch dafür gesorgt, dass diese Arschlöcher nicht wiederkommen.

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(Tree of love, außen Wilhelm-Galerie, hier spielt das obige Video)

(*) Es ist mir komplett rätselhaft, wie man dieses Video als Beteiligter freiwillig einer Öffentlichkeit zugänglich macht. Ich rechne damit, dass den Beteiligten das demnächst auffällt.

Ein Kommentar

One Response to “Gestern vor der Haustür oder das Ende unseres Weihnachtsbaums”

  1. Loopert

    Ist dein Weihnachtsbaum nicht ab Minute 19:07 zu sehen? Ich dachte ja eigentlich, ich hätte vor den ganzen Bekloppten in meiner alten Heimat endlich Ruhe – hat mir persönlich deutlich gereicht, dass die besorgten Bürger in Dresden jeden Montag gegen Mensch gehetzt haben, die sie weder jemals lebend gesehen haben noch in irgendeiner Art und Weise persönliche Erlebnisse mit ihnen vorzuweisen hatten. Nun und wenn, dann waren diese wohl eher positiver Natur – der Döner Nachts um vier schmeckt halt auch in Dresden. Auch wenn ich deine Meinung bzgl. 17 jährigen Antifas, die zum 1. Mai die Müllkontainer umkippen und das System aufmischen wollen und den Rest des Jahres auf dem elitären Helmholtz der Karriere als Richter, Schönheitschirurg oder Beamter im gehobenen Dienst entgegenstreben teile, so freut es mich doch ebenso, dass die Bekloppten von der besorgten Front Potsdam als für sich verloren einstufen. Ich mache mir zwar nicht so viele Illusionen mit der Ruhe, aber zumindest ist die Unruhe dann vielleicht produktiv….

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