Als grundsätzlich Sportinteressierter bin ich in den letzten Tagen wieder einmal auf ein erstaunliches Phänomen in meiner näheren Nachbarschaft gestoßen. Die Landeshauptstadt Potsdam, die ja nicht unter Mangel an Sehenswürdigkeiten leidet, kam auf die lustige Idee, den 1965 zugeschütteten Stadtkanal wieder auszubuddeln.
Ich habe den Stadtkanal nicht mehr im Original erlebt, es gibt glaubhafte Geschichten, dass die ganze Suppe wie Hölle gestunken hat. Auch erschließt sich mir der architektonische Reiz eines Straßengrabens inmitten einer gut befahrenen Straße nicht wirklich. Man könnte jetzt an dieser Stelle die in Potsdam bekannte Diskussion zwischen denen, die alles, was irgendein oller Preuße mal irgendwo hingebaut hat und in der DDR weggemacht wurde, wiederhaben wollen und denen, die zurecht sagen, dass Preußen als solches seit 1918 nicht mehr existiert und man sich ja mal um die Jugend und nicht so sehr um Sichtachsen kümmern sollte, aufmachen. Aber darum geht es ausnahmsweise nicht.
Im Jahre 2000 haben eine Menge Leute sich einen Pfosten gekauft und damit Geld gespendet. Günni Jauch spendierte 4 für seine Kinder. Der Chef der Stadtwerke sowie die ganzen verträumten Ex-Potsdamer waren auch mit dabei und schwuppdiwupp war ein Teilstück wiederhergestellt. Man gewöhnt sich daran. Einmal im Jahr findet eine selten dämliche Veranstaltung namens “Potsdamer Kanalsprint” dort statt. Die ungefähr 200 Meter lange Strecke wird vom Sponsor o2 komplett blau verkleidet und die Weltelite der Ruderer und Kanuten muss so tun, als ob sie dort einen echten Wettkampf austrägt. Es wird halt nicht überall so gut verdient wie im Fußball. Vielleicht regt mich das nur auf, weil das betrunkene Gegröle und die gesperrten Straßen meine Anwohnerseele stören.
Letztes Jahr wurde es dann besonders putzig. Ein Huckel in der Mitte musste raus. “Natürlich” nur weil ohnehin da Leitungen neu verlegt werden mussten. Jetzt ist der Kanalsprint 20 Meter länger und man kann angeblich irgendwelche Sprintweltcupgummipunkte vergeben. Folge war eine einjährige Baustelle direkt vor der Haustür und dass das Kind total auf Baumaschinen und Bagger (“Baggabaggabagga!”) steht. Außerdem gibt es jetzt einen Kanal ohne Wasser aber mit nur einer Brücke, die zwar dem historischem Vorbild (Ladenbergbrücke) nachempfunden wurde, aber im Winter arschglatt ist. Der werte Förderverein möge mal ein bockiges Kind frühmorgens auf den Armen darüber transportieren ohne sich auf die Fresse zu packen.
Ein Vorteil hat das unnütze Bauwerk aber. Beziehungsweise hätte und jetzt kommt das eigentlich spektakuläre: Das Ding heißt ja Kanal. Kanal wie “künstlich errichteter Wasserlauf”. Ein Wasserlauf hat den großen Vorteil, dass er im Winter gefrieren kann. Dann hat man da Eis und kann darauf Schlittschuhlaufen, Eishockeyspielen oder betrunken Fußball spielen. Traumhafte Verhältnisse sorgen für Spaß für Jung und Alt, die Straßenlaternen erleuchten die für jedermann zugängliche Eisbahn rund um die Uhr, die Mauern halten fehlgeleitete Pucks, stürzende Menschen auf und geben Anfängern halt bei den ersten Schritten. Das Eis zeigt schon nach wenigen Tagen Frost gute Qualität, da die Wassertiefe sehr gering ist. Selbst bei Einbrüchen steht man quasi nur in einer größeren Pfütze. Freiwillige räumen morgens mit bloßen Händen den Neuschnee weg und verteilen Heißgetränke an die Bürger. Nicht schlecht für eine Stadt, die keine künstliche Eisbahn besitzt. Wenn Günther Jauch und Hasso Plattner irgendwann den Stadtkanal wieder aufgebaut und auf 2.000 Kilometer einmal rund um die Stadt gezogen haben, wird Potsdam irgendwann ein ähnlich spektakuläres Eisrennen wie die Elfstedentocht anbieten können. Claudia Pechstein wird persönlich ihren Sieg im 27. Schlichtungsverfahren vor dem Berufungsgericht in Lesotho feiern und versuchen, sich in Potsdam für die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi zu qualifizieren. Millionen Jungvolk wird exstatische Eisraves und Rockkonzerte auf dem gefrorenem Geläuf feiern, Hertha BSC sich den notwendigen Teamspirit für die Champions-League Achtelfinals 2012 holen, der Breitensport blüht und gedeiht, undundund.
Halt. Was früher einmal denkbar schien – ich habe schon einige Jahresendabende auf diesem Eise verbracht – ist heute ferner denn je. Denn seitdem der Huckel weg ist, hat der Kanal das letzte Mal beim erwähnten Kanalsprint Wasser gesehen. Vielleicht ist die Leitung, die man ja “sowieso” verlegen musste, gar nicht fertig und man muss den Spaß demnächst wieder aufbuddeln. Die paar Tröpfchen im Bild oben stammen vom Regen. Ohne Wasser, kein Wasserlauf, ohne Wasserlauf, kein Eis. Und damit platzen die Träume. Und man fragt sich zurecht, warum man den Kanal noch weiter als bisher aufbauen will, wenn man danach nur einen mäßig formschönen Raumteiler mitten in der Stadt hat.
Wenn diese naheliegendste Idee von allen, nämlich einen Kanal auch mit Wasser zu füllen, nicht in die Überlegungen bei der Wiederherstellung mit einbezogen werden konnte oder das aus denkmalschutztechnischen oder sonstigen Gründen verboten werden muss, kann man da leider nur von einer totalen Vollpfostenidee sprechen. Ist ja nicht so, dass zuwenig gebaut wird in Potsdam.
6 Kommentare
6 Responses to “Potsdamer Paradoxa: Der Stadtkanal”
Großartig – auf eine sehr skurrile Art und Weise.
Tja was willst du dazu noch sagen. Nicht der erste Unsinn der in Potsdam bautechnisch verzapft wird. Der Kurort vor den Toren Berlins wächst und gedeiht….
Kleine historische Randnotiz zum Ende Preußens: “Nach dem Sturz der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 wurde Preußen ein republikanisch verfasster Freistaat, der 1932 im Preußenschlag von der Reichsregierung entmachtet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfügte der Alliierte Kontrollrat der Besatzungsmächte 1947 die Auflösung Preußens.” (Wikipedia)
Achja, einer meiner schönsten Geburtstage. Mitternächtliches Eishockeyfussball mit viel Rotwein. Danach bleibt nur noch blaue Flecke zählen. Es kann doch nicht so schwer sein, da im Winter mal ein wenig Wasser reinzulassen und eine halblegale Spontanparty zu veranstalten, die die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der sozial verkümmerten Postdamer Jugend lenkt. Eine Aufgabe für TKKG oder Pdmsamurai….
es war rum und kein wein, oder?
[…] zwei Jahren sinnierte ich noch bei Matschepampe-Wetter über das Potential des architektonischen Paradoxum vor meiner Haustür. Was der Stadtkanal in Potsdam doch für eine […]