Tour de France – Inszenierung und Dramatisierung von Sport im TV

Was hat Bela Rethy mit Gute Zeiten – Schlechte Zeiten zu tun? Warum ist es Quatsch, wenn man behauptet “Ich schau das lieber ohne Ton”? Warum hört man Olli Kahn über das Feld brüllen? Heute die auditive Ebene bei der Inszenierung von Sportveranstaltungen. Was das alles soll, steht hier. Dort gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis, welches sich ganz von Zauberhand langsam mit Links füllt.

2.4 „Aus, aus, aus … Deutschland ist Weltmeister“ – Die Tonebene und der Kommentar
Grundsätzlich kann in zwei verschiedene auditive Ebenen unterschieden werden. Auf der einen Seite stehen die athmosphärischen Geräusche vom Geschehen, die je nach Sportart mehr oder weniger in die Inszenierung mit eingebunden werden. Auch wenn sie nicht im Zentrum der Betrachtung stehen, sind sie doch nicht wegzudenken. Ein Formel 1 Rennen ohne das Aufheulen der Motoren oder ein Fußball-WM-Endspiel ohne enthusiastische Massen beim Torjubel ist kaum vorstellbar.

Es ist zu beobachten, dass darauf geachtet wird die Tonmischung ausgeglichen zu gestalten. Es wird versucht, die Geräusche der Aktiven selbst einzufangen. So hört der Fernsehzuschauer Oliver Kahn über das ganze Feld brüllen, den Schmerzenschrei nach einem bösen Foul oder das keuchende Atmen der Biathleten, wenn sie sich beim Schießen konzentrieren müssen. Diese sportimmanenten Sounds werden dann mit dem Hintergrundrauschen, den Geräuschen des Umfeldes, zusammengebracht und zu einer Soundebene verdichtet. Es ist zu vermuten, dass diese Komposition aus den gleichen Beweggründen geschieht, wie beim Schneiden der Bilder aus den verschiedenen Dimensionen. Auch diese Ebene trägt zur Inszenierung von Leistung und Emotion mit bei.

Über diesen Hintergrundgeräuschen liegt aber immer die zweite auditive Ebene, die Stimme des Kommentators. Natürlich macht dieser auch manchmal Pausen und in diesen Momenten kann die Athmosphäre in den Vordergrund treten. Allerdings ist er in der Hierarchie der Tonelemente ganz oben angesiedelt. Das Publikum empfindet es als störend, wenn durch handwerkliche Fehler die Worte des Sprechers im Rauschen untergehen.

Es gibt Menschen, die sich Sportübertragungen lieber ohne Ton anschauen und sagen, der Kommentator würde die Aussage der Bilder nur verdoppeln, wäre also redundant. Allerdings führt das Bild-Ton-Verhältnis durch das Zusammenspiel zu einer neuen Qualität des Gesamtproduktes. Das Bild „is a puppet animated by the anchorman’s voice“ (Chion, 1994, S.7) Nur weil die Informationen, um die der Ton das Bild bereichert, teilweise scheinbar natürlich aus dem Bild stammen, sind sie natürlich trotzdem bedeutsam.

Der Kommentator übernimmt gleich mehrere wichtige Funktionen. Er erklärt das Spiel und die Spielziele und ordnet stellvertretend für das Publikum die Handlungen der Aktiven auf dem Weg dorthin ein. Adelmann und Stauff sprechen von einer Zopfdramaturgie wie sie auch aus den Daily-Soaps bekannt ist. Verschiedene Handlungsstränge werden begonnen und teilweise ohne Anschlüsse wieder liegengelassen. Der Kommentator hat schließlich die Aufgabe auf das Spielgeschehen zu reagieren und versucht immer das aktuellste Ereignis mit dem vorher beschriebenen Spielziel zu verbinden. (Adelmann/Stauff in Schwier, 2002)

Dabei werden permanent Erwartungen aufgebaut. Jede Verletzung, jeder Pass, jede Zwischenzeit wird auf das noch nicht feststehende Endergebnis bezogen. Alles wird gleichzeitig bearbeitet und teilweise werden auch in Vergessenheit geratene Ergebnisse aus der Versenkung geholt und nachträglich kontextualisiert. („Es war klar, dass es nach der Verletzung von XY in der 10. Minute schwer bis unmöglich sein werden würde, hier zu gewinnen…“)

Der Kommentator ist weiterhin dafür zuständig dem Zuschauer sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen, so dass dieser selbst aktiv an der Deutung und der Spekulation über den möglichen Ausgang teilnehmen kann. Sportartenspezifische Fachbegriffe, ohne die jeder Sport langweilig erscheinen müsste, werden aufbereitet. Auch dabei wird mehr und mehr der Ort des Geschehens verlassen. Um den Ereignis eine emotionalere Tragweite zu geben, werden private Geschichten der Athleten sowie bisherige Siege oder Niederlagen mit eingebunden. In den USA wird diese Verbindung noch offensichtlicher. Große Leistungen sind noch größer, wenn der Athlet gerade zwei Jahre pausiert hat, von einer schweren Krankheit geheilt wurde oder persönliche Schicksalsschläge überwinden musste. Beste Beispiele dafür sind Lance Armstrong, der seine Krebserkrankung besiegte und die Tour de France gewann und Michael Jordan, der nach dem Mord an seinem Vater zurücktrat, zwei Jahre später zurückkehrte und die Chicago Bulls triumphal zu neuen Meisterschaften im Basketball führte.

Durch diese Verbindung der Leistung auf dem Platz mit der nicht-sportlichen Ebene wird außerdem gewährleistet, dass bestimmte sportliche Ereignisse eine Relevanz auch außerhalb des Sportspieles erlangen. Stauff und Adelmann sprechen von interdiskursiver Präsenz, wenn Sprüche wie schau mer mal von Franz Beckenbauer oder ich habe fertig von Giovanni Trappatoni durch das immer wieder kehrende Aufgreifen Eingang in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens finden. Das kommerzielle Potential des Sportes liegt auch gerade in der Dynamik zwischen Spezial- und Interdiskurs. (Adelmann/Stauff in Schwier, 2002)

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