#JeSuisCharlie

Je suis Charlie

Wofür statt wogegen? Schwer, wenn man an einem Tag mit so vielen Vollidioten konfrontiert wird. So unfassbar der Mord an mindestens zwölf Menschen in der Redaktion von “Charlie Hebdo” ist. Das was danach als Reaktion durch die Medienöffentlichkeit geistert, macht mich genauso fassungslos. Der Reihe nach: Maskierte, unbekannte Männer meucheln brutal und gezielt Journalisten, Künstler und Polizisten. Die Bewertungsmaschine läuft umgehend an.

Es gibt Stimmen der Vernunft die darauf hinweisen, dass wir zwar schon etwas wissen, aber auch eine ganze Menge nicht. Parallel werden aber schon mit Sensationsgier die Videos der Tat verbreitet. (Ich habe sie nicht gesehen, ich möchte sie nicht sehen.) Und die ersten Menschen, die das Gefühl haben, etwas dazu sagen zu müssen, obwohl sie lieber geschwiegen hätten, treten auf den Plan.

Eine Sammlung der größten Vollpfosten gibt es hier. Das ist vielleicht ein Zeichen der Zeit und man kann dem durch Verzicht auf soziale Medien weitestgehend aus dem Weg gehen. Es tummeln sich aber nicht nur durchgeknallte Selbstdarsteller dort sondern auch Volksvertreter (vielleicht kein Widerspruch?), die mit ihren Äußerungen ein Klima, eine politische Landschaft beeinflussen. Wenn sich also die “Menschen mit Einfluss oder Reichweite” immer mehr den durchgeknallten Vollpfosten anpassen – im Kampf um ein bisschen Aufmerksamkeit, dann braucht man sich nicht wundern, wenn sich auch die Stimmung im Land in diese Richtung entwickelt. (Zu #Pegida komme ich später) Im Moment versammeln sich Tausende Menschen vor allem aber nicht nur in Frankreich, eine Reaktion, die ich im Angesicht der Tat als angemessen empfinde. Warum maßen sich Menschen an innerhalb kürzester Zeit solch unfassbare Ereignisse zu bewerten? Und als wenn das nicht schlimm genug wäre, das Geschehen im eigenen Sinne zu instrumentalisieren? Nun gut, das sind wir ja mittlerweile gewohnt. Das passiert schließlich auch bei Ereignissen, die deutlich weniger Schlagzeilen machen. Trotzdem:

Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, interpretiert den Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ als Rechtfertigung für „Pegida“. „All diejenigen, die bisher die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft“, sagte Gauland am Mittwoch. 

“Mit Verlaub, [Herr Gauland], Sie sind ein [populistisches] Arschloch”. (hoffentlich straffrei zitiert nach Joschka Fischer, Bundestag, 1984) Nochmal zum Mitschreiben: Zum Zeitpunkt dieser Äußerungen ist über die Täter nichts bekannt, außer, dass sie nach Augenzeugenberichten angeblich im akzentfreien Französisch “Allah ist groß” gerufen haben. Auch wenn ich es nicht glaube, ich wünsche es mir, dass sich die Attentäter als einheimische Vollpfosten herausstellen. Von der AfD kann man vielleicht nichts anderes erwarten. Das Spiel mit Ängsten ist ja schließlich so etwas wie die Geschäftsgrundlage. Die Empörung, geschmiert durch eine Trilliarde “genau”, “die da oben” und “Lügenpresse” Kommentare auf Facebook, ist ja immerhin die Basis für die “Alternative” und artverwandte Parteien oder Spaziergesellschaften.

Wie tief das Problem sitzt, zeigt aber ein Blick auf die gewählte Sprache im Angesicht einer latent empfundenen Gefahr. Das Erste zeigt den obligatorischen Brennpunkt. Zusätzlich wird Frank Plasberg aus dem Urlaub geklingelt und darf u.a. mit Michel Friedmann, einem anerkanntem Deeskalationsexperten, eine Sonderausgabe bestreiten. Pressetext:

Hart aber fair – extra: Islamistischer Terror in Paris: Für uns war es Satire, ein Grund zum Lachen. Für die islamistischen Fanatiker war es ein Grund zum Morden: Zeigt der Terroranschlag auf das Pariser Satiremagazin, dass die westliche Freiheit sogar mitten in Europa in Gefahr ist? Wer wagt noch kritische Satire über den Islam, wenn darauf der Tod steht?

Und nächsten Montag dann: “Pegida: Wie konnte es dazu kommen?” Schon einmal was von der Wirkung von Sprache gehört? Wie gesagt, zum Zeitpunkt der Themensetzung stand nicht fest, wer hinter diesem Anschlag steckt. Und selbst wenn es Vollidioten im Namen des Propheten sind: Diese in drei harmlosen Sätzen steckende Polemisierung – ähnlich zu finden in bspw. der Rhetorik der Bild-Zeitung, der CSU und anderer – ermöglicht das Phänomen “Pegida” (1) und sorgt dafür, dass Facebook bald an der Dummheit der Kommentaren stirbt. (2)

Was ist jetzt das Licht am Ende des Horizonts und der Bogen zu “Wofür statt wogegen?” Wofür kann man im Angesichts der laut polternden Vollidioten gerade sein?

Für Respekt, sowie ein Moment des Nachdenkens, dass die freiheitlichen Werte, die man jetzt schreiend gegen alle bärtigen Männer verteidigen möchte, von Vollidioten angegriffen werden und nicht von Menschengruppen oder Religionen oder Menschen mit Bart. Vorbildlich hat das nach den Anschlägen von Oslo und Utoya der damalige norwegische Ministerpräsident Stoltenberg hinbekommen. Er hat bestimmt kurz nachgedacht, bevor er sich äußerte.

Und für Humor:

Anschlag auf Charlie Hebdo ganz großartig für Islamisten und Islamhasser

Schreibt der Postillon, die Titanic lädt zur Pressekonferenz ein, bei der potentielle Attentäter bei Schnittchen (danach) nicht nur eine Satireredaktion sondern auch die Systemmedien auslöschen können.

Auch wenn es in so einem Moment schwer fällt: Respekt und Humor bringen uns als Gesellschaft, als Zivilisation definitiv weiter als ein “Kampf gegen den Terror” und ein immer lauteres “muss man doch mal sagen dürfen”,  “die da oben”, “Systemmedien”  Gebrülle. Auch das Teilen der Ergüsse von Populisten auf Facebook, Spazierengehen gegen Dinge, die man nicht kennt und Behaupten man selbst (oder Russia Today) sei als einziger im Besitz der einzig wahren Wahrheit und alle anderen sind fremdgesteuert soll nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht viel gegen Vollidioten, egal welcher Religionsangehörigkeit, helfen.

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