Natürlich besucht man nicht nur einfach ein Spitzensportereignis, man unterschreibt gleichzeitig einen Vertrag als Laiendarsteller, wahlweise sogar eine Sprechrolle. Und natürlich geht es bei Anna Kournikova nicht nur um die sportliche Leistung. Und nein … das Fernsehen hat damit gar nichts zu tun… Was das alles soll, steht hier. Dort gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis, welches sich ganz von Zauberhand langsam mit Links füllt.
2.7 „Ha, ho, he … Hertha BSC“ – Fankultur als Teil der Inszenierung
Kommentatoren betiteln ein lautstarkes Publikum gerne als 12. Mann und auch Sportler geben an, dass sie in Heimspielen durch die Anfeuerungsrufe motivierter sind. (Jurcovac, 1995) Das Publikum übernimmt aber auch bei der Inszenierung von Sportveranstaltungen eine entscheidende Rolle. Es wirkt als weiterer akustischer und optischer Reiz, auf den die Regie zurückgreifen kann, wenn auf dem Spielfeld nichts läuft. Die Bilder und Töne von der Fankurve, die lustige Lieder singt oder wie eine Wand einen Spielernamen skandiert, dienen zur Unterhaltung des Zuschauers, der gerade dabei ist, vor Langeweile umzuschalten.
Fanatische und enthusiastische Fans, die offen zur Schau stellen, wie wichtig ihnen dieses Ereignis ist, stehen immer auch als Symbol für die Relevanz des sportlichen Wettkampfes und die extreme Emotionen. Der Zuschauer im Fernsehsessel kann durch die Übertragung daran teilhaben und ist ebenfalls emotionalisiert.
2.8 Erotik des Fernsehsportes
Spitzensportler sind naturgemäß gut austrainierte Menschen, die Inszenierung ihres Körpers spielt eine große Rolle und „Sex sells“ ist zu verlockend als dass Fernsehsender darauf verzichten würden. „Die Bilder des Spiels […] entfalten solche Macht über uns, weil sie die Extremwerte unserer Zeit abstrahlen: Prestige, Ruhm, Reichtum, Schönheit, Risiko“ (Schneider in Merkur 9/10, 1993, S. 873)
Im Fokus der Öffentlichkeit steht die männliche Sportwelt. 94% aller Berichte drehen sich um Sport der Männer. (Hartmann-Twes/Rulofs in Schwier, 2002) In dem geringen Teil der den Frauen gewidmet wird, schwingt oft die Inszenierung der Erotik mit, teilweise überstrahlt sie wie bei Anna Kournikowa auch die sportliche Leistung. Sportlerinnen wissen darum. „Natürlich wünscht man sich ein kompetentes Publikum, aber man weiß, dass man das nicht haben kann“, sagte Heike Henkel in einer Sportsendung. (WDR Sportmagazin spiW XL)
Es gibt auch eine Tour de France der Frauen, diese findet allerdings fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und soll hier nicht weiter betrachtet werden. Deswegen spielt auch die Diskussion um Inszenierung von Sportlerinnen in den Medien hier keine Rolle.
Interessant ist allerdings die Entwicklung der letzten Jahre. Zunehmend werden auch Männer als Sexsymbole inszeniert. Die Spitzensportler hatten schon immer einen austrainierten Körper, seit David Beckham und dem damit verbundenen Hype um die Meterosexualität findet diese Inszenierung aber unter anderen Vorzeichen statt. Insofern spielt dieser Aspekt auch bei der Tour de France eine wenn auch geringe Rolle. Die braungebrannten Radsportler mit ihren glattrasierten Armen und Beinen geben mit ihren ergonomisch optimierten Bewegungen auf dem Rad durchaus ein attraktives Bild ab. Diese Ästhetik macht auch die doch sehr langen Übertragungszeiten ein wenig erträglicher.
2.9 „Zieht Euch doch mal mehr sexy an“ – Eingriff des Fernsehens in die Sportwelt
Bis jetzt wurde nur aufgezeigt, wie das Fernsehen auf die Gegebenheiten des sportlichen Wettkampfes für seine Inszenierung reagiert. Natürlich haben Sportler, Veranstalter und Verbände an dieser Inszenierung ein massives Eigeninteresse. Sie erhoffen sich durch Fernsehpräsenz eine erhöhte Aufmerksamkeit und mehr Sponsoringeinnahmen.
Nach dem Sponsoringdreieck von Bruhn (1998) stehen die Medien, der Sport und die Wirtschaft in einem Dreieck.
Sponsoring-Dreieck (Bruhn, 1998)
Auch wenn dieses durch die Krise der TV-Sender, die Unmöglichkeit der Refinanzierung teurer Sportrechte, ein wenig ins Wanken zu geraten scheint, wird doch deutlich, dass alle drei Parteien ein Interesse haben, den sportlichen Wettkampf in möglichst gutem Licht erscheinen zu lassen. Die Sport-Seite möchte durch ein positives Bild, mehr Zuschauer anlocken und höhere Werbeeinnahmen erzielen, die Wirtschaft wirbt natürlich nur in einem positiven Umfeld und die TV-Anstalten sind sich bewusst, dass nur eine emotional fesselnde und spannende Übertragung ihre Quotenwünsche befriedigen kann.
So ist es auch zu erklären, dass in letzter Zeit dazu kam, dass einige Sportarten ihre Regeln änderten, um für die Fernsehübertragung attraktiver zu wirken. Im Tischtennis wurden die Bälle vergrößert und die Sätze auf 11 Punkte verkürzt. Die Volleyballdamen haben eine neue, minimalistischere Kleiderordnung und im Tennis wurde der Tie-Break eingeführt. Scheinen diese und ähnliche Eingriffe auf den ersten Blick wie ein Diktat des Fernsehens, wird auf den zweiten Blick klar, dass sich professionelle und kommerziell ausgerichtete Sportinstitutionen auch ihren Partnern anpassen müssen. Man orientiert sich auch bei der Festlegung von Terminen an der Konkurrenzsituation. Zum Zeitpunkt des WM-Finales im Fußball wird wahrscheinlich kein anderes ambitioniertes Sportereignis auf der Welt stattfinden.
Das Fernsehen nimmt also durch seine Macht als Multiplikator mittlerweile auch eine Funktion beim Gestalten von Sportarten ein. Manche Disziplinen wie der Super-G im Alpinen Skisport wurden gar neu kreiert. (Burk/Digel in Schwier, 2002) Die Sender schaffen sich die Grundlagen für ihre Inszenierungen also teilweise selbst. Allerdings läuft dieser Prozess in Europa noch sehr konservativ ab. In Amerika sind technische Auszeiten für Werbepausen im Basketball oder Football längst Standard, in Deutschland sind alle Versuche der Sportart Nummer 1, dem Fußball, eine werbetauglichere Struktur zu geben bis jetzt gescheitert.
Als Gegenströmung zum kommerziellen Wachstumsdenken, dem Sport als Teil der Unterhaltungsindustrie, wirkt der Sport als kultureller Bestandteil einer Gesellschaft. (Burk/Digel in Schwier, 2002) Durch das im Gegensatz zu Amerika andere Fanverhalten, der aktiveren Identifikation, gibt es bei radikaleren Änderungen in relevanten Sportarten einen scharfen Protest. Die bekanntesten Beispiele sind die Initiative „pro15:30“, die sich gegen die Streuung des Spieltages in der Fußball-Bundesliga auf das gesamte Wochenende wehrte und der gescheiterte Versuch von SAT.1 die Fußballshow „ran“ auf 20:15 Uhr zu verlegen.