Ein Spiel dauert nicht 90 MInuten sondern drei Stunden. Außerdem braucht man zum Sport gucken bald SPSS. Was das alles soll, steht hier. Dort gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis, welches sich ganz von Zauberhand langsam mit Links füllt.
2.5 „Wir verlieren immer, wenn ein Spieler mit ungerader Rückennummer zuerst eine Gelbe Karte kassiert“ – Statistiken
In der SAT.1 Fußballshow „Ran“ konnte ihr niemand entgehen. Kein Spieler, keine Partie wurde von der ominösen Ran-Datenbank verschont. Selbst ambitionierten Fußballzuschauern entging irgendwann die Bedeutung des Umstandes, dass der VfL Bochum zwischen der 40. und 45. Minute kein Gegentor nach Ecken zugelassen hat.
Statistiken sind allerdings trotz der gelegentlichen Sinnfrage ein wesentlicher Bestandteil der Inszenierung des Sportspiels im Fernsehen. Klug eingesetzt und ansprechend aufbereitet bieten sie dem Publikum Fachwissen, das beim Verständnis und der Einordnung des Geschehens hilft. Außerdem bieten sie dem Kommentator Steilvorlagen für seine Ausführungen über das Geschehen. Statistiken, Tabellen und Ergebnistafeln dienen auch dazu die Relevanz des Ereignisses bzw. der gerade gezeigten oder erwarteten Leistung klar zu stellen.
Visuell ergibt sich außerdem die Möglichkeit durch Einblendung von Statistiken wie dem Spielstand oder Zwischenzeiten dem Betrachter eine weitere Dimension neben den bewegten Bildern und der Tonebene anzubieten. Seitdem die TV-Sender bei Live-Übertragungen von Fußballspielen die Spielminute und das aktuelle Ergebnis immer oben rechts im Bild einblenden, fällt die Zeit, bis der Zuschauer sich orientiert hat kürzer aus. Er weiß, dass er kein Tor verpasst hat während er in der Küche war und muss nicht auf Bild und Ton, die den Erfolg ja zum Zeitpunkt des Geschehens vermeldeten, warten. Das hat natürlich den Vorteil, dass die Zuschauer nicht beim dem Versuch sich auf den neuesten Stand zu bringen, verzweifeln können. Es birgt allerdings auch die Gefahr, dass nach dem kurzen Aufnehmen der Information, das Geschehen als irrelevant betrachtet wird. Nach dem Gedanken: „3 zu 0, das ist gelaufen“ wird das Ereignis als entschieden bewertet und der Übertragung nicht weiter beigewohnt.
Mittlerweile sind die Zeiten der digitalen Omega Uhr und der vereinzelt eingeblendeten Spielstände aber endgültig Vergangenheit und es wird seitens der Fernsehsender versucht, alle relevanten Information auch grafisch in die Berichterstattung zu integrieren. Damit wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass es für den Betrachter leichter ist, sich visuell dargebotene Fakten zu merken. Das Aufzählen der Ergebnisse eines Biathlonweltcups mit Zwischenzeiten und Schießergebnissen vom Kommentator würde die Menschen schlichtweg überfordern.
2.6 „Sie müssen mehr über die Flügel spielen, sonst wird das nichts“ – Rahmenprogramm der Inszenierung
Wie weiter vorne bemerkt, werden die Sendelängen von Sportübertragungen mittlerweile weit über die Dauer des jeweiligen Wettkampfes gestreckt. Auch wenn die Sender das gerne als umfassende Information verkaufen, geht es doch oft einfach nur darum, die teuren Senderechte durch den Einbau möglichst vieler Werbeblöcke zu refinanzieren. Mittlerweile besteht zum Beispiel nur noch knapp über die Hälfte der Sendezeit bei Liveübertragungen von Fußballspielen aus dem eigentlichen Spiel. Für Hackfort könnte der Schritt vom Infotainment zum reinen Entertainment damit schon vollzogen sein. (Hackfort in Schwier/Schauerte)
Für die Verlängerung der Sendedauer benötigt man natürlich auch den entsprechenden Inhalt. Bei allen Sendern sind deshalb mittlerweile der Moderator, die Experten, die Interviews mit Spielern, Trainern oder anwesenden Prominenten und Halbprominenten Standard geworden. (Burk/Digel in Schwier 2002)
Die einzige Ausnahme bei dieser Ausweitung des sportlichen Geschehens in die Dimensionen der Unterhaltungsbranche macht Eurosport. Ein Grund dafür ist, dass der Sender mit einem relativ geringen Budget arbeitet, die Kommentatoren oft nicht vor Ort sind und nur in einem Studio das Fernsehbild kommentieren. Außerdem spricht Eurosport eher die Spezialisten unter den Sportzuschauern an. Diese legen größeren Wert auf den Sport an sich und fühlen sich durch die Show am Rande eher gestört. (Interview mit Karsten Migels, 2004)
Es hat sich bei allen wichtigeren Übertragungen ein gewisser Ablauf verfestigt. Der Moderator stimmt meistens im Duett mit einem Experten das Publikum auf das Ereignis ein. Es folgen Einspielfilme mit Beiträgen zu den Athleten und Interviews, sowie eine Einschätzung des Experten für das heutige Geschehen. Danach leitet der Moderator zum Kommentator über und der eigentliche Wettkampf beginnt. Bei Sportereignissen, die von ihrer Struktur eine Pause aufweisen, wird diese mit Stand-up Interviews sowie den Experten gefüllt. Gibt es wie im Biathlon, Skispringen oder der Formel 1 keine echten Pausen, nutzen die Sender ereignisarme Zeiten, um Beteiligte oder Trainer zu interviewen. Nach dem letzten Block des Wettkampfes folgen wieder Interviews mit Athleten vom Spielfeldrand bevor an den Moderator und Experten übergeben wird. Diese werten das Ereignis aus und schalten bei attraktiven, nachgelieferten Interviews noch mal zurück zum Spielfeldrand. Danach verabschiedet der Moderator das Publikum. (Analyse von Champions League, SAT.1; Wintersport, ARD; Fußballländerspiele ARD und ZDF; Formel 1, RTL; Skispringen RTL; alle 2003)
Natürlich finden die Sender für jedes Ereignis dabei ihre eigene Form. Bei den Fußballländerspielen der ARD fungiert Waldemar Hartmann beispielsweise in einer exklusiven Interviewerrolle mit eigenem Ministudio während Gerhard Delling als Moderator sich hauptsächlich die Bälle mit dem Experten Günter Netzer zuspielt.
Bei RTL laufen Günther Jauch und Diether Thoma als Moderator und Experte auch gerne einmal die Schanze hoch, um von oben runterzuschauen, verlassen also ihr Studio und führen das Publikum durch die Landschaft.
Folgende Absichten lassen sich jedoch klar und deutlich erkennen. Die Moderatoren und Experten bauen schon vor Beginn des Wettkampfes eine zusätzliche Erwartungshaltung auf. Sie versuchen, neben dem dezenten Vermitteln von Informationen, das Publikum emotional auf das Ereignis einzustimmen. Es werden mögliche Ansätze zur Lösung des sportlichen Problems aufgezeigt, auf die sich später wieder bezogen werden kann. Es fallen dann halbkluge Sätze wie: „Sie hätten mehr über die Flügel spielen müssen“ oder „Wenn sie eine Chance haben wollen, dürfen sie die gegnerischen Spitzen nicht zur Entfaltung kommen lassen“. Durch die Vielfalt der Äußerungen entsteht beim Betrachter ein konkretes Bild, was er vom Ereignis erwarten soll. Dieses Bild kann er dann später selber überprüfen. Gerne werden auch Superlative oder überspitzte Formulierungen wie „DAS Spiel“, „Die Entscheidung“ oder „extrem spannende Ausgangslage“ benutzt, um dem Zuschauer noch einmal das Gefühl eines emotionalen Highlights zu geben.
Die Stand-up Interviews mit Beteiligten dienen auch nicht dem Zweck, den Aktiven sinnvolle Aussagen zu entlocken. Wenn die Fußballer nach einem anstrengenden Spiel sinnfreie Halbsätze von sich geben, ist eher das visuelle Bild des abgekämpften Helden oder Versagers das Entscheidende, was es in die Wohnzimmer zu transportieren gilt. Im Idealfall ergibt sich noch eine Stilblüte wie das berühmte „das wird doch alles hochsterilisiert“ von Bruno Labbadia oder ein Wutausbruch, wie der von Rudi Völler im Interview mit Waldemar Hartmann nach dem EM-Qualifikationsspiel auf Island, welches dem Fernsehen Stoff gibt, das Ereignis noch in die Welt außerhalb der Übertragung zu transportieren.
Einspielfilme sorgen dafür, dass der Zuschauer, sowohl die Hintergründe des Wettkampfes als auch die Charaktere der Beteiligten besser kennen lernt. Das Publikum erlebt den Sportler während des Wettkampfes nur in seiner Funktion als Athlet, der oft auch noch mit typischer Ausrüstung wie einem Helm vermummt ist. Das Bekanntmachen mit der Persönlichkeit des Sportlers ist ein gängiges Mittel die Identifikation des Publikums mit dem Aktiven zu fördern. Anderseits kann der Kommentator diese Fakten nutzen, um durch eine neue Kontextualisierung die Grenzen des Spielfeldes zu sprengen, indem er zum Beispiel auf Rivalitäten oder persönliche Hintergründe verweist. Bestimmte Eigenarten können auch genutzt werden, um Ereignisse vorzubereiten oder einzuordnen. „Er ist halt ein Verrückter“, eine private Einschätzung des Charakters von beispielsweise Mario Basler wird dann dazu genutzt, „dieses freche Tor“ zu erklären. Das Fernsehspiel Sport schafft also Charaktere und Images von Sportlern, um sie dann später selber zu deuten. (Adelmann/Stauff in Schwier, 2002)