London 2012 #30/7/12

Das Konzept des Zuschauers als “Programmdirektor” halte ich für gescheitert, zumindest bei diesen Olympischen Spielen. Der Zuschauer kann vielleicht Programmdirektor sein – auf der Fernbedienung, aber die gefühlte Abwesenheit eines redaktionellen Konzeptes bei den Streams und den Querverweisen und die technische Instabilität überfordern mich – und sicherlich viele andere – massiv. Es fehlt der rote Faden. Und wenn die Kommentatoren in den Hauptprogrammen von ARD und ZDF immer wieder auf die Streams hinweisen und es dann einfach nicht geht bzw. dauert bis sich ein Bild aus den Tiefen des Internets schält, steigt der Stresspegel selbst bei motivierten Menschen enorm.

Eine vielleicht unterschätzte Komponente dabei: Schon beim digitalen Fernsehen finde ich die Umschalt- und Reaktionszeiten der Geräte teilweise grenzwertig. Ich habe einfach gelernt, dass ich beim Thema Fernsehen auf eine Taste drücke und dann passiert genau das. (Ein wesentlicher Punkt für den anhaltenden Erfolg des Videotexts, er geht halt immer schnell an) Und beim Versuch des Startens einer HbbTV Applikation oder eines Streams war ich schon mehrmals kurz davor die Fernbedienung wutentbrannt aus dem Fenster zu werfen, weil das Mistding nicht reagiert bzw. nicht einmal eine Rückmeldung kundtat, ob die Aktion jetzt angenommen wurde. Die Latenzen, nur beim Starten der diversen Quellen führen schneller als der General Electric Sport vor den EBU Streams zu so schlechter Laune, dass sich niemand wundern muss, dass der Ton in Blogs und den sozialen Netzwerken Richtung ARD und ZDF – naja – unfreundlich wird.

Außerdem ist es eine Katastrophe, dass es kaum vernünftige, übersichtliche und vor allem aktualisierte EPGs für die Streams gibt. Und dabei meine ich nicht: Da steht so grob was kommt, sondern für den geneigten Interessenten auch eine redaktionelle Einordnung, eine Bewerbung, eine Vorsortierung. Wie soll ich bitte wissen, ob für mich, dass Bogenschießen der Herren im Teamwettbewerb spannend ist oder nicht, wenn mich das einfach nur aus einer Liste anstarrt. Wenn man den Zuschauer als Programmdirektor möchte, dann muss man ihm auch die Informationen dafür an die Hand geben. Sonst wirkt das wie “Hier nimm, haste viel Zappelbild, such dir gefälligst selber raus, was du Wicht kucken willst”.

Man kann das kompensieren, sicher: Einen schönen Twitter-Feed zusammenstellen, sich ein oder zwei Blogs zusammensuchen und sich davon treiben lassen, auf die Kommentare unter Blogartikeln hören, was sich zu schauen lohnt (nie im Leben wäre ich nach dem Berichten im ZDF und auf deren Webseite darauf gekommen, wie großartig der Teamwettbewerb im Bogenschießen ist). Allein, das funktioniert sicher nicht für die Masse und auch ich merke, dass das wahnsinnig viel Energie kostet. Bei der Fußballeuropameisterschaft war das entspannter. Es gab ein in Stein gemeißeltes Fernsehprogramm. Das war klar und bekannt. Dazu kann das Rauschen auf dem Second-Screen-Bildschirm als wundervolle, fachkundige und humorvolle Unterhaltung neben dem “Hauptinhalt” laufen. Wenn man aber auf dieses Rauschen angewiesen ist um überhaupt zu den Inhalten zu kommen, ist das meiner Meinung nach die falsche Reaktion auf die durch soziale Netzwerke und die Geschwindigkeit im Internet veränderten  Rahmenbedingungen. Das sieht von ARD und ZDF so aus, als ob sie wissen, dass das große Internet nun mal da ist – kann man nicht ändern – es aber nicht mit Liebe bespielt wird.

Schade, weil einige Ideen, die es dieses Mal gibt, wirklich ganz schön sind. Die Relive- Funktion bei den Streams, dass man zurückspulen kann, ist schon ziemlich schön. Nur dass man sie bei dem Gestresse mit der Verfügbarkeit kaum entdeckt. Und irgendwie gibt es so viele haarsträubende Fehler, bei Kleinigkeiten, dass das alles so wirkt, wie mit sehr heißer Nadel gestrickt.

Beispiele gefällig? Warum zur Hölle Flash? Bis alle Checks durch sind oder man den Html-only Knopf gefunden hat, sind selbst Keniatische Exoten die 400m gekrault.

Wer ist auf diese beknackte Sortierung beim ZDF-Liveticker gekommen? Es ist übrigens 22:49 Uhr. Wird die Reihenfolge ausgewürfelt?

Der ARD Liveticker rutscht immer nach oben, wenn eine neue Nachricht kommt, ein “Nachlesen” der Ereignisse der letzten Stunde ist ziemlich nervenaufreibend, wenn man immer wieder nach oben geschossen wird.

Nochmal ZDF.

Es ist kurz vor 11. Britta Heidemann hat gerade Silber gewonnen, Timo Boll ist rausgeflogen. Was macht die ZDF-Sport-Startseite? Sie knallt mir ein Mottobild vom Hockey vor den Latz. Die News sind veraltet. Der Ticker ist Schrott. Fassungslos.

Die Startseite der ZDF-Olympiamediathek braucht eine halbe Minute um sich überhaupt zu laden. Und. Sie sieht sowas von komplett anders aus, als die ZDF-Sportseite. Tolle Idee, irgendwann weiß keiner mehr, wo er ist. Diese horizontalen EPGs sind ja auch schwer in Mode. Ich habe da meine Zweifel, aber das ist vielleicht Geschmackssache. Aber eine liebevolle Aufmachung und eine Emotionalisierung kann man dem ZDF jetzt hier nicht unterstellen. Das hat den Charme einer 8-seitigen Excel Tabelle in Schriftgröße 5. Macht total Lust das jetzt einzuschalten, oder? Gerade weil der kleine Satz rechts unten mir klar macht, dass das eh nur ein bisschen geraten ist. “Termine unter Vorbehalt. Änderungen möglich.” Ach, bei Sport ändert sich was? Ist ja ganz was neues. Was macht man dann? Jemand ransetzen, der die Änderungen eingibt. Was gäbe es für Kloppe für die Videotextredaktionen, wenn die mit dieser Einstellung die Now and Next Anzeige für ARD und ZDF angehen würden.

Gänzlich amüsant wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass ARD und ZDF die Streams ja gemeinsam anbieten. Also die Streams, den Rest natürlich nicht. Man könnte ja eigentlich auch mal auf den amüsanten Gedanken kommen, das Online-Angebot zu Olympia gemeinsam zu gestalten. Würde nicht schaden. Das ist aber grundsätzlich ausgeschlossen, weil ja schon in der ARD, dass alles wild über alle Landesrundfunkanstalten verteilt ist und natürlich jeder stolz drauf ist und das auch zeigen muss.

Lustiges Header-Raten zum Abschluss.

Auflösung:

1: Sportschau.de/Olympia-Liveplayer. Öffnet sich gerne in einem Popup, aber manchmal auch nicht. Das Streaming-Dings. Wenn man da ist, kann man Live die Streams schauen.

2. ARD-Mediathek. Große ARD Mediathek. Banner auf Olympia-Stream-Dings, aber sehen kann man Olympia da nicht

3. ARD.de-Startseite. Teaser auf Olympia mit Livestream. Rechts Teaser auf ARD-Mediathek, wo man ja Olympia nicht sehen kann (siehe 2) aber wieder eine Teaser auf 1) hat

4. Sportschau.de. Nicht zu verwechseln mit Sportschau.de/Olympia. Gaaaanz andere Baustelle. Startseite der Sportschau. Mit Teasern auf Sportschau.de/Olympia aber auch auf alles andere.

5. Sportschau.de/Olympia. Startseite vom Olympia-Special. Sieht bisschen aus wie 4.) ist aber gaaanz anders. Menü links ändert sich. ARD-Navigation oben fällt weg. Hier gibt es Teaser auf 1) Hinweise auf Radio/TV führen wiederum nicht zu den Streams sondern zu lustigen Listen.

6. DasErste.de: Webseite des Fernsehsenders. Natürlich was ganz anderes als Sportschau.de und Sportschau.de/Olympia und ARD.de. Heute ist das ZDF dran, da findet Olympia da nicht prominent statt.

Das Fass der Angebote der diversen Landesrundfunkanstalten zu Olympia machen wir gar nicht erst auf.

Aus beruflichen Gründen verstehe ich die Zwänge die zu so einem lustigen ARD-ZDF-SWR-NDR-WDR-BR Kuddelmuddel führen ziemlich gut. Die armen Kollegen, die das umsetzen, können oft am Wenigsten dafür. In der Regel kommt ja nicht einmal das Feedback der Nutzer an der richtigen Stelle an sondern muss erst einmal quer durch die Republik weitergeleitet werden. Bei Olympia, wo man sich ein kompaktes, liebevolles und großartiges Angebot “aus einem Guss” wünschen würde, fällt es nur auf, dass manche Dinge vielleicht – sagen wir mal vorsichtig – suboptimal organisiert sind.

Vielleicht muss ich aber auch nur noch an meinen Skills als Programmdirektor arbeiten. Ich habe ja noch 12 Tage.

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