Charakterliche Eignung

Das Vorbild – laut DWDS ein “Muster, Beispiel, dem man nacheifert, Leitbildbzw. die Vorbildfunktion wird von diversen Offiziellen gerne instrumentalisiert, wenn es um spätpubertäre Verhaltensweisen von Fußballprofis auf und neben dem Platz geht. In schöner Regelmäßigkeit kocht die Debatte dann wieder hoch und Dr. Theo Zwanziger spricht von “Dingen, die mit der Vorbildfunktion, die ich von jungen Nationalspielern und Spitzen-Fußballern erwarte, einfach nicht in Einklang zu bringen sind“. So geschehen bei der Geburtstagsfeier von Patrick Ebert und Kevin Boateng. Ähnliches prasselt jetzt auf Lukas Podolski nieder. Zum Beispiel von Karl-Heinz Heimann, der im Kicker sagt: “Ihn mit einer Spende von 5000 Euro davonkommen zu lassen, halte ich für unangemessen. Für eine Mannschaftssportart ist Disziplin unerlässlich. Wer dagegen verstößt, begeht mehr als ein Kavaliersdelikt”.

Das verbale Scharmützel erreicht dann seinen Höhepunkt, wenn der DFB-Präsident im selben Artikel meint:

“[…] dass unser Sportdirektor Matthias Sammer, der in diesem Fall der erste Ansprechpartner ist, sich mit der Frage befassen wird, ob diese Spieler unabhängig von ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit charakterlich geeignet sind, damit sie von uns in Nationalmannschaften präsentiert werden können.”

Er macht hier also von seiner Richtlinienkompetenz in allen Aufgabenbereichen – eines seiner 9 Aufgabengebiete –  Gebrauch und definiert damit das Themenfeld “Nationalspieler: Charakterliche Vorraussetzungen”. Natürlich nur im Sinne des Fußballs, des Weltfriedens und der Vorbildfunktion für Jugendliche. Die Floskel “was das für eine Auswirkung auf die tausenden Aktiven in den Jugendmannschaften hat” gibt der Phrasenautomat gratis mit dazu.

Natürlich ist der Charakter – die Gesamtheit aller seiner Eigenschaften – eines Spielers in einer Mannschaftssportart nicht unerheblich für den Erfolg des Teams. Wirkt sich dieser doch auf sein Verhalten auf dem Feld aus. Ist er schnell eingeschnappt, eher launisch oder kann seine Aggressionen nicht kontrollieren, stellt das eventuell ein Risiko für die gewünschte Leistungsfähigkeit dar. Das im Einzelfall zu beurteilen ist Sache des Trainers, genauso wie jede Führungskraft mit Personalverantwortung ein wenig darauf achten sollte, was für Männeken er einstellt.

In der Nationalmannschaft hat Joachim Löw dementsprechend gehandelt, als er erkannte, dass ein schmollender Kuranyi so sehr das Betriebsklima vergiftet, dass seine Qualitäten als Stürmer das nicht aufwiegen. Soweit so gut.

Wenn Podolski Michael Ballack auf dem Spielfeld eine klatscht, kann der Schiedsrichter das mit einer Roten Karte ahnden. Joachim Löw kann Podolski nie wieder nominieren und Michael Ballack kann ihn fertigmachen. Und 80 Millionen Deutsche dürfen dazu eine Meinung haben und das von “nicht so schlimm” über “ziemlich dämlich” bis “geht gar nicht” finden – genauso wie Effes Stinkefinger 1994, Oliver Kahns Arroganz oder die Eingeschnapptheit von Christian Wörns in der Vergangenheit.

Wenn Boateng und Ebert nachts um drei um die Häuser ziehen, darf der Trainer von Hertha BSC seinen Spieler zur zweiten Mannschaft schicken, weil er vorher gesagt hat: “Wenn Ihr den Vertrag unterschreibt, akzeptiert Ihr mich als Euren großen Vorsitzenden und ich sage Euch, Ihr müsst um Zwölf im Bett sein.” Wenn Ebert mit seinen schönen bunten Fußballschuhen noch Autospiegel abgetreten hat, darf auch die Polizei ermitteln und ihm Sozialdienst aufbrummen. Auch zu diesem Verhalten darf jeder seine Meinung haben. (Übrigens war von den Autospiegeln lange nicht mehr zu hören. Insofern war Ebert eine Woche der Arsch, weil er an seinem Geburtstag länger aufbleiben wollte. Buh!)

Theo Zwanziger und allen selbsternannten Moralisten reicht das alles aber noch längst nicht. Man kann Ebert eigentlich nicht aus der Nationalmannschaft ausladen, weil er gegen keine Regel der Nationalmannschaft verstoßen hat. Es sei denn es gab die Regel “Bleibe, auch wenn Du gerade nicht Nationalspieler bist, nie länger als bis um 12 auf.” Es werden hier also wild aus dem eigenen Wertekanon und vom Hörensagen Maßstäbe angesetzt, die nicht messbar und nicht greifbar sind. Und alles mit dem Verweis auf die ominöse Vorbildfunktion.

Nach dieser Logik wäre das beste Vorbild für alle deutschen Nachwuchskicker ein kleiner, technisch versierter Pappkamerad, der immer lächelt, brav “Bitte” und “Danke” sagt und Werbung für ganz viel Scherrity macht. Quasi Phillip Lahm noch eine Runde weichgespülter. Dr. Theo Zwanziger vergisst allerdings, dass die Jugend sich ihre Vorbilder immer noch selber sucht und als Vorbild auch nur Menschen taugen, die nicht so penetrant als Vorbild hingestellt werden. Insofern ist diese ganze “Das gehört sich nicht”-Debatte absolut unerträglich. Und überflüssig.

Es sei denn, der DFB oder einer der anwesenden Psychologen hier erstellt wirklich mal ein aussagekräftiges Anforderungsprofil für Nationalspieler, bei denen auch die charakterliche Komponente berücksichtigt wird. Dann hätte es aber nie im Leben einen Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus gegeben. Ansonsten kann man, wenn man nett ist, dieses Gerede als populistisches Gequatsche im Eifer des Gefechtes abtun, oder unterstellen, hier versuchen Menschen ihre persönlichen Wertemaßstäbe auf einen Verband und die Öffentlichkeit zu übertragen.

Wobei natürlich streng zu unterscheiden ist zwischen einer Nacht von Malente, wo es wichtig war, “[…] dass wir uns nach dem fünften oder sechsten Glas Wein die Wahrheit gesagt haben” oder einer privaten Geburtstagsfeier, wo man nachts durch Berlin läuft und Spässeken macht. Da hätte ich als junger Spieler aber auch meine Probleme, dass immer so genau einzuschätzen.

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