Kühlungsborn

Ostsee geht immer. Selbst in den Herbstferien. (Wer kam eigentlich auf die Idee, Ende Oktober/Anfang November zwei Wochen Schulferien zu verordnen? Da ist hier schlechtes Wetter und in den klassischen Urlaubsländern im Süden auch nicht mehr so warm, dass es sich lohnt, die beschwerliche Anreise auf sich zu nehmen.)

Kühlungsborn, dieses Mal, klassisches Seebad, mit Kurtaxe und großen Häusern (vgl. Bungalowbebaute Ostseeorte und komplette Ferienappartement-Orte ohne Kurtaxe).

Wenn man das Meer kurz nicht hört, denke ich manchmal für Momente, ich bin in den Alpen gelandet. Noch einmal abbiegen und dann kommt die Seilbahn und oben auf dem Berg scheint die Sonne und es gibt Kaiserschmarrn zum Mittag. Ach hübsch, diese verzierten Ferienhäuschen. Hamse gut gemacht. Sah bestimmt schon früher im Wallis schon so aus.

Ja, ich weiß, das ist die klassische Bäderarchitektur. Um mein Fremdeln zu beschreiben, muss ich etwas ausholen. Ich bin ja mit der Ostsee groß geworden. An einem Sandstrand drei Kilometer nördlich von Glowe auf Rügen haben wir in meiner Kindheit in den 1980ern gefühlt jedes Jahr eine Woche verbracht. Natürlich nie in den Sommerferien, das war ein Urlaubsquartier der Akademie der Wissenschaften und irgendwie fielen immer nur Plätze im Mai oder Oktober ab. Da standen ein paar Bungalows, ein paar Bauwagen und ein ausgedienter Messturm im Dünenwald am Strand. Direkt daneben ein Grenzturm (Was wollte man dort eigentlich bewachen? Von der Küste der Schabe ging es eigentlich nur sehr, sehr weit auf das Meer und nach Schweden braucht schon die Fähre von Sassnitz mindestens 4 Stunden.) Sehr Lo-Fi, sehr schön. Für mich bestanden Ferienanlagen also aus eilig hingeklatschten Provisorien. Nach der Wende kam ich dann das erste Mal in Kontakt mit den mondänen Kurorten, hauptsächlich auf Usedom.

In Bansin verbrachte ich wunderbare Tage. Irgendein Familienmitglied einer Freundin hatte eine Wohnung in einer Strandvilla, mit Blick aufs Meer, natürlich unsaniert und so abgefuckt, wie noch einige Häuser (siehe Foto) in Kühlungsborn (und bspw. der Rest von Heiligendamm, der nicht das Grand Hotel ist) Aber das ist mit 18 natürlich total egal: Wir sind um 2 Uhr nachmittags aufgestanden und haben durch den Wintergarten auf das Meer geschaut. Ich habe mit einem Walkman am Strand Bundesligakonferenz gehört. Wir sind nachts auf die Seebrücke geschlappt und haben den Mond beobachtet. Ich habe gegen Marita im Schach trotz Damenvorgabe verloren und mit Antje auch in Bansin im Bungalow ihrer Familie, der den DDR-Ferienobjekten in Glowe ähnelt und es wahrscheinlich immer noch tut, aus heutiger Sicht vollkommen inakzeptable Neunziger Jahre Crossover Musik gehört. Und die Violent Femmes.

Es gab schon damals Tourismus, im Sommer war es knallevoll. Aber es hatte in einer Zeit, wo in Potsdam schon langsam alles auf Hochglanz poliert wurde, noch einen sehr morbiden Charme. Nach der, nennen wir es internationalen Phase, wurde die Ostsee dann, gerade mit Kind wieder attraktiv als Urlaubsziel. Die Luft, die Atmosphäre, das Wasser und überhaupt fast alles, ist immer noch so großartig, wie als Kind oder als Teenager. Nur, jetzt ist alles schick, die örtlichen Eisdielen haben auch Eis und stellen keine kaputten Softeismaschinen aus. Die Ferienwohnungen haben netterweise Geschirrspüler und manchmal eine Fußbodenheizung. Man ist in unter drei Stunden mit dem Auto da und gondelt nicht 8 Stunden mit dem Wochenendticket und diversen Regionalexpressen ans Ziel.

Für mich als Standardfamilienurlauber alles eine unglaubliche Erleichterung. (Wetter schlecht? Ab mit Kind in die Therme.) Und trotzdem werde ich das leichte Fremdeln wohl nicht los, wenn sich die Ostseeorte zu voll professionellen Ressorts verwandeln. Gerade, wenn dann das spannendste Gebäude das langsam dahingammelnde Baltic Café/die Baltic Bar ist. Was ungefähr tausendmal mehr Geschichte ausstrahlt, als all die “Residenzen” (See/Strand/Ostsee/Meerblick/Möwe), die ich so gerne in einem Kurzurlaub bewohne. (Was wohl mit dem rechten Turm passiert ist?)

Aber so lange das Meer gleich bleibt, kommen wir wohl immer wieder.

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