Tour de France – Die Aufbereitung

Damals anno Neunzehnhundertund als der Eddy und der Miguel und der Didi … Von der Kunst stundenlang möglichst bedeutsames Zeug zu quatschen und das Publikum mit Statistiken zu amüsieren. Was das alles soll, steht hier. Dort gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis, welches sich ganz von Zauberhand langsam mit Links füllt.

5.3 Kommentar
Bei den deutschen Sendern werden die Etappen jeweils von zwei Personen kommentiert. So wird Abwechslung für den Zuschauer  bei den langen Übertragungen geschaffen und die Kommentatoren haben die Möglichkeit sich die Bälle zuzuspielen.

Der Kommentar hat die Funktion die Dramaturgie des Rennens aufzunehmen und darauf zu reagieren. Er ordnet permanent das Geschen ein und zieht daraus Schlüsse für den möglichen weiteren Verlauf. Da die Einzigartigkeit des Sportes ja in der Unvorhersehbarkeit des Ausganges besteht und es immer mehrere Möglichkeiten zum Erreichen des Ziels gibt, liegt er damit fast immer falsch. Das ist allerdings Teil des Spieles und nicht wirklich schlimm.

Ereignisarme Zeiten werden vom Kommentator gerne mit Rückblicken in die Geschichte gefüllt. („Der Rekord von Marco Pantani an diesem Berg steht bei …“) „Der Kommentar erinnert damit an einen Rekord, der eine mögliche Perspektive für das folgende Geschehen abgibt.“ (Adlemann/Stauff in Schwier, 2002, S. 68) Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von „historischen Ereignissen“, die für solche Fälle parat stehen. Ein Musterbeispiel ist der Etappensieg von Guiseppe Guerini aus dem Team Telekom im Jahre 1999 auf der Etappe nach L‘Alpe d‘Huez.

Adelmann und Stauff haben diese Kommentatoren-Sequenz ausgewertet. Der letzte Teil der Etappe, der schwere Schlußanstieg nach L‘Alpe d‘Huez, verläuft erst einmal völlig normal. Die Reporter füllen die ereignisarme Zeit mit alten Legenden. Nach der erfolgeichen Attacke von Guiseppe Guerini und der aufgeregten und hektischen Begleitung durch die Sprecher tritt ein Ereignis ein, dass so im Fernsehspiel Tour de France nicht vorgesehen ist. Ein junger Mann möchte ein Foto vom Führenden machen und schafft es nicht schnell genug von der Straße zu gehen. Der Fahrer fährt auf und fällt hin. Natürlich reagiert der Kommentar auch extrem auf diese Situation. „Das ganze diskursive Repertoire an Ausgrenzungsstrategien wird hier aufgeboten. (‚das glaub ich nicht‘; ‚dieser Fanatiker‘; ‚noch nie erlebt‘; ‚das ist nicht normal‘) und gipfelt schließlich in in allgemeinem sozialphilosophischem Pessimismus: ‚Kein Gitter kann helfen Fanatiker zurückzuhalten.‘“ (Adlemann/Stauff in Schwier, 2002, S. 71) Schon kurze Zeit später konnte die Re-Normalisierung erfolgen, da das Ereignis nicht einmal eine sportliche Auswirkung, geschweige denn größere Folgen hatte. Weder ein Mensch kam zu Schaden, noch wurde der Etappensieg Guerinis verhindert. Der Sieg des Italieners bekam dadurch aber eine neue, dramatischere Dimension und es ist klar, dass diese Geschichte ideal ist, um ereignisarme Zeiten beim nächsten Anstieg nach L‘Alpe d‘Huez zu füllen. Dem Zuschauer wird dadurch das Gefühl vermittelt, jederzeit könnte sich ein ähnlich dramatisches Ereignis wiederholen.

Wenn selbst den Kommentatoren nichts mehr einfällt, womit sich ein naheliegendes Großereignis suggerieren lässt, erzählen gerade ARD und ZDF gerne über Sehenswürdigkeiten am Rande der Strecke oder beschreiben ausführlich wo sich die Fahrer gerade befinden, damit der Zuschauer zu Hause im Autoatlas nachschlagen kann. („Die Fahrer biegen jetzt ein auf die D295“)

Weiterhin verarbeiten die Kommentatoren eine Vielzahl von sportlich bedeutungslosen Faktoren zu einer Kette von potenziellen Kleinereignissen. So werden Vermutungen über Ziel und Pläne der Fahrer angestellt und daraus mögliche Schlussfolgerungen über mögliche Rennverläufe angestellt. Es geht sogar soweit, dass die Kommentatoren über die Spekulationen der Sportler spekulieren. („Andererseits, vermutet er, dass es zu einem Sprint kommt?“)

Mit diesen Mitteln wird der größtenteils ereignisarme Verlauf aufgewertet. Die Kommentatoren versuchen die Spannung aufrecht zu erhalten, während das Feld stoisch durch das Land rollt. Unvermittelt können die Sprecher aber auch in einen anderen Modus umschalten. Äußeres Merkmal ist immer die Sprechfrequenz. Die ganze Zeit wird die Hoffnung genährt, dass bald etwas Entscheidendes passiert. Das muss sich, gesetzt den Fall die sportlichen Ereignisse geben das her, dann natürlich auch entsprechend von dem bisherigen, eher meditativem Begleiten abheben.

In den Momenten sportlicher Spannung ist der Kommentar immer direkt an den Bildinhalt gekoppelt. Die von der Kamera abgebildeten Ereignisse werden durch den Sprecher verstärkt. Es wird jetzt nicht mehr über vergangene Zeiten fabuliert oder das ansässige Weingut vorgestellt. Die Ausführungen beziehen sich auf das Bild und die sportliche Gegenwart. („Armstrong greift an, Ullrich versucht zu kontern …“) Der Kommentator ist jetzt aber noch für eine weitere Ebene zuständig. Er versucht wieder permanent das hektische Geschehen einzuordnen und verbindet dann gerne seine Bild-Interpretation mit medizinischen und sportlichen Faktoren. („Sein Lungenvolumen beträgt 7 Liter, schon als 10jähriger ist er in der Altersklasse der 12jährigen mitgefahren“)

Durch die ungemein lange Zeit der Übertragung sind solche emotionalen Explosionen aber verhältnismäßig selten. Die Reporter versuchen sich sich durch intensive Vorbereitung, das Sammeln von Unmengen von Hintergrundinformationen, darauf einzustellen. Es ist aber nicht zu verhindern, dass während dieser Zeit trotzdem eine Menge Blödsinn erzählt wird. Es liegt auf der Hand, dass gerade ARD und ZDF sich auf die deutschen Teams und Athleten konzentrieren. Außerdem fungiert die ARD sogar als Co-Sponsor des Team Telekom. Deswegen wird natürlich jeder noch so bedeutungslosen Handlung dieser Athleten eine völlig aufgesetzte Inhaltsschwere verpasst. „Unser Jan“ (Harald Schmidt) thront dabei natürlich über allen und es entsteht beim Zuschauer durchaus das Gefühl, die Sprecher wollen Jan Ullrich persönlich den Berg hochreden.

Bei Eurosport zeigt sich dieser übertriebene Patriotismus nicht ganz so stark. Da der Sender die Tour für den kompletten deutsch­sprachigen Markt anbietet, konzentrieren sich die Kommentatoren hier auch auf Fahrer aus Österreich und der Schweiz.

5.4 Classement virtuell und historische Rekorde – Grafiken und Statistiken
Die Statistiken spielen bei der Tour de France eine große Rolle. Auch wenn auf der Strecke der Kampf Mann gegen Mann im Vordergrund steht, die Macht über Sieg und Niederlage haben Zeit- und Punktetabellen. So werden sehr häufig Grafiken eingesetzt, um diese Fakten zu visualisieren. Die abgebildeten Zeitabstände zwischen den Gruppen, die aktuelle virtuelle Gesamtwertung oder der Stand beim Kampf um das Grüne Trikot sind zudem für das Verständnis sehr wichtig, da der Zuschauer beim bloßen Blick auf das Geschehen natürlich nicht erkennen kann, ob die Spitzenngruppe jetzt beispielsweise fünf oder zehn Minuten Vorsprung hat. Eine Funktion der Statistiken besteht also in der Erklärung des Renngeschehens. Andererseits dienen die diversen Grafiken von Steigungsgrad der Anstiege oder der von Eurosport gerne benutzten Rekorde aus der Vergangenheit wiederum dem Schüren von Erwartungshaltungen. Sie geben Anlass zu Spekulationen und Prognosen. („Dort wäre der ideale Punkt zum Attackieren“)

Die grafische Aufbereitung der Informationen hat sich zunehmend pofessionalisiert. Gerne geben die Sender mit ihren besonderen 3D-animierten Streckenprofilen an. Dadurch dass alle Sender das gleiche Bild benutzen, ist dies eine Möglichkeit, sich visuell wenigstens ein wenig von der Konkurrenz abzuheben.

Auffällig ist allerdings, dass sich fast alle Grafiken mit dem sportlichen Geschehen beschäftigen. Einblendungen, die sich auch mit den Persönlichkeiten der Sportler beschäftigen, wie sie in den USA seit langem üblich sind, finden sich kaum.

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