Tour de France – Inszenierung und Dramatisierung von Sport im TV

Noch ein kurzer Blick zurück, dann geht es ins Detail. Was wird wie inszeniert. Welche Mittel werden eingesetzt. Und wir kommen zu einem wichtigen Punkt: Das Geschehen muss für den Betrachter einzuordnen sein. Was das alles soll, steht hier. Dort gibt es auch ein Inhaltsverzeichnis, welches sich ganz von Zauberhand langsam mit Links füllt.

2.2 Fernsehautos und Siegerbanketts – Anfänge der Inszenierung
Die Anfänge der Inszenierung des Fernsehsportes lassen sich bis in die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. ARD und ZDF nutzten hauptsächlich technische Innovationen, um die Zuschauer immer wieder zu überraschen. 1966 meldete das ZDF beispielsweise einen eigenen Wagen für das 1000 Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring. Die Bilder der elektronischen Kamera im Wagen wurden durch einen Hubschrauber über der Strecke weitergeleitet und der Zuschauer konnte das Rennen aus der Perspektive der Teilnehmer betrachten.

Durch die rasante Entwicklung der Technik, die Minitiaturisierung vor allem von Kameras, wurden rasch neue Wege gefunden, den Betrachter so nah wie möglich am Geschehen teilhaben zu lassen. Zur Olympiade 1972 in München gab es schon die Möglichkeit drahtlos Bilder von Kameras zu übertragen. Außerdem wurden Unterwasserkameras in den Schwimmbecken eingesetzt. Die Organisatoren der Fußball WM 1978 in Argentinien berücksichtigten bereits beim Bau der Stadien die Bedürfnisse der übertragenden Fernsehanstalten. (Foltin/Hallenberger, 1994)

Ein weiterer Meilenstein war die Realisierung des Speicherns der aufgenommenen Bilder. Sie konnten kurze Zeit später wieder abgespielt werden und ermöglichten so technisch die Zeitlupe und das Betrachten des vermeintlichen Foulspiels im Strafraum unter unzähligen Blickwinkeln. Kein Zuschauer möchte diesen Service heute mehr missen.

Genauso steigerte sich natürlich die Anzahl der Kameras bei der Berichterstattung von Sportereignissen. Wurden die ersten Fußballspiele noch mit drei Kameras übertragen, vermelden die Fernsehsender jetzt bei jeder Präsentation eines Großereignisses stolz neue Rekorde. „Noch 50 Tage. Alle Register ziehen, unser letztes Hurra in diesem Jahrtausend […] 60 Kameras, 5 zusätzliche bei jedem Spiel der deutschen Mannschaft. Die technische Ausstattung ist state of the art […] Kritische Situationen werden in aller Ruhe analysiert. Fußballfest, gemeinsam, Publikum, Großereignis“ (Stuckrad-Barre, 2000, S. 141)

Ins Blickfeld der Verantwortlichen im Fernsehen rückten allerdings auch schnell die Ereignisse am Rande des Spielfeldes. Schon 1966 sendete das ZDF im „Aktuellen Sportstudio“ live das Siegerbankett der Finalisten der Fußball-WM (Burk/Digel in Schwier 2002) und es ist immer noch gute Tradition, dass der Gewinner der deutschen Meisterschaft auf dem Weg zu seiner rauschhaften Feier mehrere Dutzend Kamerateams abschütteln muss und der Empfang der übernächtigten Helden am nächsten Tag auf dem Rathausbalkon live im überregionalen Fernsehen übertragen wird.

Die Inszenierung wurde also auf der einen Seite von der rapiden technischen Entwicklung begünstigt und beschleunigt. Auf der anderen Seite gewinnt das Geschehen am Rande, der Blick auf den Menschen hinter der Höchstleistung durch die Macht des Unterhaltungsprinzipes an Bedeutung.

2.3 „In der nächsten Einstellung sieht man das Handspiel dann ganz deutlich“ – Die Bildebene
Die bewegten Bilder bilden die Grundlage jeder Abbildung eines Sportereignisses im Fernsehen. Sie lokalisieren und beschreiben relevante Ereignisse auf dem Weg zum definierten Wettkampfziel und bieten dem Kommentator, also der später beschriebenen auditiven Ebene, die Möglichkeit sich anzuheften. Unter diesem Aspekt können die technischen Neuerungen auch als verfeinerte Instrumente der Hermeneutik verstanden werden. Jede Superzeitlupe, jede Helmkamera, etc. dient dazu, das Geschehen für den Betrachter einordbar zu machen. (Adelmann/Stauff in Schwier, 2002)

Nun können die verschiedenen Blickwinkel natürlich nicht nur helfen, dem Betrachter die Wahrheit über das Geschehen näher zu bringen. Gleichzeitig dienen sie auch dazu, die Interessen des Fernsehens, primär eine spannende und fesselnde Sendung und sekundär natürlich ein begeistertes Publikum und eine hohe Quote, zu bedienen.
Es werden mit Hilfe der Michael Ballack-Spezialkamera oder der Superzeitlupe oft Ausschnitte von Nebenschauplätzen des sportlichen Geschehens übertragen. Dies passiert natürlich nicht in Momenten wo Michael Ballack bewegungslos in der Gegend steht. Am Beispiel der Helmkamera des Torwartes im Eishockey wird das Ziel dabei ganz deutlich. Naturgemäß produziert diese durch die Bewegung des Keepers eine Unmenge hektischer Bewegungen. Die scheinbar atemberaubende Dynamik und Hektik wird natürlich auch dem Publikum vermittelt. Es wird also bei geschicktem Einsatz der Eindruck extremer Spannung suggeriert. Der Betrachter wird mit Reizen überflutet, da der übertragende Sender in einem Moment sportlicher Langeweile natürlich das Interesse hat, die Neugier des Zuschauers mit neuen Reizen so weit zu wecken, dass er nicht wegschaltet.

Durch den Einsatz der Zeitlupe ergibt sich bei der visuellen Aufbereitung der Sportereignisse auch eine ganz neue Ästhetik. „Sie rückt in bisher nicht erlebter Intensität alle Komponenten sportlicher Höchstleistungen ins Blickfeld – Qual, Härte, Dynamik, Kraft, Energie, Gefahr – und dazu die Reaktion des sportlichen Helden: Zorn, Wut, Aggression, Erleichterung, Unverständnis, Haß, Entspannung, Staunen, Entsetzen.“ (Burk/Digel in Schwier, 2002, S. 199f)

Den Zuschauern soll der Wunsch einem Großereignis beizuwohnen, erfüllt werden. Das schafft man auf der einen Seite durch die visuelle Inszenierung der Leistung. Wenn das Gesicht des Boxers nach einem Schlag in der Superzeitlupe unangenehm gestaucht wird und zerknautscht durch die Gegend wackelt, bewertet der Fan vor dem Fernseher den Haken, der dazu führte, als unheimlich kräftig und großartig.
Auf der anderen Seite führt die Abbildung der hoffentlich extremen Reaktion des Sportlers auf die eben erbrachte Leistung auch dazu, dass der Zuschauer das Gefühl hat, es handelt sich um ein Großereignis, bei dem es um viel geht. Athleten, die diese Gefühlsregungen nicht zeigen werden dann oft als Schweiger inszeniert, die auch sonst nicht sprechen. Beispiele dafür sind der Skispringer Janne Ahonen und der Rennfahrer Kimi Räikönen. Sie stammen praktischerweise auch noch aus Finnland, einem Land dessen Einwohner nach Meinung der deutschen Sportkommentatoren sowieso nicht gerne reden.

Nur selten zieht das Fernsehen in Betracht, dass der sportliche Wettkampf  nicht so relevant sein könnte. Das Fernsehen würde mit dem Eingeständnis dieses Faktes ja die Berechtigung verlieren, den Wettkampf zu übertragen.

3 Kommentare

3 Responses to “Tour de France – Inszenierung und Dramatisierung von Sport im TV”

  1. Gazza

    Kimi Raikönen und der ganze Rest der Im-Kreis-Fahrer sind sowieso glattgebügelte, gesichts- und persönlichkeitslose Bleifussprimaten. Bloß nicht anecken, der Werbevertrag könnte in Gefahr sein.
    Das waren noch Zeiten, als es noch echten Hass zwischen den Fahrern gab (Alain Prost Ayrton Senna, Mansell gegen alle). Oder als Senna in Monaco im Tunnel als Gerhard Bergers Beifahrer den Schlüssel abgezogen hat und aus dem Fenster warf (im Privatwagen, nicht Formel 1). Nicht zu vergessen, die Menge Koks, die in den achtzigern geschnupft wurden. That’s Entertainment.

  2. D. Simeone

    Krass, 18.5 Mio plus Rensing bieten die Bayern angeblich (SZ) für Manuel Neuer! Kann es eine größere Ohrfeige für Rensing in der Konkurrenz mit Adler und Neuer geben??? Wohl kaum.

    Abgesehen davon: Wie werden solche “Paketlösungen” denn von MV’s Rechtsdezernat abgewickelt? Sowas gab es ja noch nicht im Uli&Kalle-Spiel.

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